die woche in berlin
: die woche in berlin

Die zwei Neuen an der Berliner Linken-Fraktionsspitze sind eine gute Wahl. Das neue Landesgesetz gegen behördliche Diskriminierung wird nicht zu einer Klagewelle führen. Beim Entwurf des Versammlungsgesetzes sind noch ein paar Verbesserungen nötig

Ziemlich
aussichtsreiche
Kombination

Neue Chefs bei der
Berliner Linksfraktion

Das hätte tatsächlich besser laufen können: Dass Anne Helm und Carsten Schatz am Dienstag nur mit einer Reihe von Gegenstimmen und im Fall von Helm auch einer Gegenkandidatur ins Amt kamen, war nicht bloß inhaltlicher Kritik, sondern auch unzureichender Vorbereitung zuzuschreiben. Zu sehr sahen sich einzelne Abgeordnete vor vollendete Tatsachen gestellt, als fast zeitgleich mit dem Rückzug der langjährigen Doppelspitze aus Carola Bluhm und Udo Wolf die Namen von Helm und Schatz im Umlauf waren.

Das sorgt nun für einen suboptimalen Start für ein Duo, das eigentlich eine gute Wahl für die Fraktionsspitze ist: Frau und Mann, mit 33 noch jung die eine, mittelalt mit 50 der andere, eine Ex-Piratin mit erst vier Jahren in der Linkspartei im Duett mit einem altgedienten Genossen.

Wobei das nur die Grunddaten sind. Helm, eine eher kleine und schmale Person, bringt im Plenarsaal eine ungeheure Ausstrahlung bei ihren Reden ein, die wohl auch ihrer Tätigkeit als Synchronsprecherin zu verdanken ist. Schatz, der zwölf Jahre Landesgeschäftsführer seiner Partei war und selbst einen Kreisverband anführt, kennt die Linkspartei in allen Facetten, ihm dürfte keine Stimmung, keine Gefühlslage der Basis entgehen.

Zu unerfahren angesichts der anstehenden großen Aufgaben gerade beim Thema Geld und Finanzen nach Corona seien die beiden, hieß es auch. Das überraschte, denn Schatz sitzt im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, der genau diese Milliardenhaushalte beackert, und hat zudem auch in der Geschäftsführung und als Wahlkampfleiter seiner Partei ausreichend mit Budgets zu tun gehabt. Helm wird zwar bislang vorwiegend mit den Themen Medien und Frauenrechte wahrgenommen, wirkt aber so, als ob sie sich schnell in alles andere einarbeiten und es nach außen vertreten könnte.

Dass sich an der Spitze auch ohne ewig lange Parlamentszugehörigkeit reüssieren lässt, hat bei den Grünen Antje Kapek gezeigt: Sie gehörte dem Abgeordnetenhaus erst wenig mehr als ein Jahr an, als sie Fraktionsvorsitzende wurde – Helm ist immerhin schon fast vier Jahre Parlamentarierin. Über Schatz war schließlich noch zu hören, er sei zu „moderat“, also gemäßigt, maßvoll. Dass eine solche Eigenschaft überhaupt ein Nachteil sein soll, lässt tief blicken – der Gegenentwurf wäre ja ein Radikaler oder Extremer. So jemand als Vorsitzender täte auch der Linksfraktion nicht gut: Ob links, Mitte oder rechts, an der Spitze braucht es Menschen, die moderieren, ausgleichen, bündeln, mitnehmen. Dass die neuen Chefs zu wenig eigene Akzente setzen, ist auch nicht zu befürchten – vor allem Helm hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie auch Attacke kann. Stefan Alberti

Ein bundesweit einmaliger Vorstoß

Das Abgeordnetenhaus hat
das LADG beschlossen

Während dieser Tage weltweit Menschen nach dem Mord an George Floyd gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße gehen, ist an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus ein kleines Wunder geschehen. Die rot-rot-grüne Regierung hat das bundesweit einmalige Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) verabschiedet. Nicht dass irgendein Gesetz brutale Polizeimorde wie den in Minneapolis verhindern könnte. Das LADG versucht bei dem hinter solchen Taten liegenden Alltagsrassismus anzusetzen.

Indem es staatlichen Institutionen die Diskriminierung von Menschen aufgrund von „rassistischen oder antisemitischen Zuschreibungen“, Religion, Herkunft, sexueller Identität, Behinderung und vielen anderen Merkmalen verbietet, bekennt es zugleich: Ja, es gibt Rassismus in Behörden, es gibt Benachteiligung von nicht als „normal“ angesehenen Menschen. Erstmals bekommen nun Betroffene die Möglichkeit auf Schadensersatzklage gegen Behördenrassismus.

Dass vor allem die Polizeigewerkschaft GdP gegen das Gesetz Sturm gelaufen ist, spricht Bände. Denn obwohl führende Politiker von SPD, Linken und Grünen stets beteuerten, schon jetzt müssten sich Beamte an Recht und Gesetz halten – und zwar inklusive Artikel 3 GG, der Diskriminierung verbietet – sieht die Realität anders aus. Menschen mit anderer Hautfarbe können ein Lied davon singen. Polizeiarbeit beruht – wenigstens zum Teil – auf Instinkten, Gefühlen, und damit auf Vorurteilen.

Hier kann das Gesetz seine Wirkung entfalten. Bei Drogenkontrollen in Parks dürfen PolizistInnen natürlich auch künftig schwarze Personen kontrollieren. Dass sie dafür sofort verklagt werden könnten – in der Debatte über das LADG oft als Totschlagargument gebracht –, ist reine Demagogie. Aber sie dürfen Menschen eben nicht mehr nur deshalb kontrollieren, weil sie schwarz sind – die Betreffenden müssen sich schon verdächtig verhalten: weglaufen, etwas verstecken oder Ähnliches. Und die Begründung, warum wer kontrolliert wird, sollte dabei eigentlich kein Problem sein. Es sei denn, es gibt eben doch Racial Profiling – was die Polizei seit Jahren bestreitet.

Dass Behörden – betroffen sein können auch Schulen, Jobcenter, die Ausländerbehörde etc. – jetzt mit Klagen überzogen werden, ist nicht zu erwarten. Denn erstens ist der Schritt zur Klage für den Einzelnen immer eine hohe Hürde. Wer legt sich gerne mit der Schule seines Kindes an? Zweitens zeigt dies die Erfahrung mit dem bundesweit geltenden Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG), das Diskriminierungen im privatrechtlichen Bereich verbietet. Seit 2006 gilt es bereits – und erst vor wenigen Monaten wurde erstmals ein Berliner Vermieter wegen Diskriminierung eines Wohnungssuchenden (mit türkischem Nachnamen) verurteilt. Preisfrage: Meinen Sie, das war der erste Vermieter, der je diskriminiert hat? Susanne Memarnia

Ein
kleines
Wunder
ist
geschehen

Susanne Memarnia über das am Donnerstag beschlossene Landesantidiskriminierungsgesetz

Mehr
Protest
wagen

Beim Versammlungsgesetz von R2G ginge noch mehr

Auf den ersten Blick sieht der Entwurf für das neue Versammlungsgesetz, das die Fraktionen von Rot-Rot-Grün am Mittwoch im Abgeordnetenhaus vorgestellt haben, sehr gut aus: Anstatt zu verschärfen nämlich setzt die Koalition auf Liberalisierung. Festmachen lässt sich das an vielen Punkten: Das Deeskalationsgebot ist erstmals für Berlin festgeschrieben. Gegendemos in Hör- und Sichtweite sollen grundsätzlich erlaubt sein. Streckenverläufe von Demos sollen auf einem Open-Data-Portal des Landes veröffentlicht werden. Die Bannmeile um das Abgeordnetenhaus soll verkleinert werden und nur nach Anordnung des Parlamentspräsidenten gelten.

Proteste sollen zudem künftig auch auf Privatgelände stattfinden können, wenn dieses öffentlich zugänglich ist und das Anliegen mit dem Ort zu tun hat. Demos auf Flughäfen gegen die klimatischen Auswirkungen von Flugverkehr wären damit also möglich – ebenso in Shoppingmalls gegen sklavenähnliche Arbeitsbedingungen.

Viel davon war allerdings gemäß mehrerer Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgerichts längst Praxis. Dem Brokdorf-Urteil von 1985 etwa ist es zu verdanken, dass Kooperations-, Deeskalations- und Differenzierungsgebot schon seit 1985 in Deutschland zur Anwendung kommen sollen – auch wenn danach nicht überall gehandelt wird (Hamburg, wink doch mal!).

Insofern ist es natürlich gut, dass dies nun für Berlin ausformuliert ist und altbackene Begriffe wie die „öffentliche Ordnung“ als Beschränkungen für Demos ausgedient haben.

Aber es ginge eben auch mehr – etwa bei den umfangreichen Eingriffsrechten der Polizei: Denn noch immer ist die Versammlungsbehörde bei der Polizei angesiedelt. Das sei deswegen problematisch, weil die Exekutive Versammlungen grundsätzlich als Gefahr ansehe und entsprechend handle, wie der Republikanische Anwält:innenverein (RAV) in der taz kritisierte. Zudem könnten Einsatzkräfte einzelne Protestteilnehmer:innen ausschließen oder Versammlungen schon dann auflösen, wenn diese nur bedrohlich erscheinen.

Auch das umstrittene Vermummungsverbot soll nicht abgeschafft, sondern nur gelockert werden: Die Polizei soll es erst nach einer Anordnung durchsetzen können. Diese kann bereits im Vorfeld oder auch während einer Demo ergehen, wenn es zu Straftaten kam oder damit zu rechnen ist. Das Mitführen von geeigneten Materialien zur Vermummung wie Schals und Sonnenbrillen soll hingegen nicht mehr strafbar sein.

Wirklich neu sind allerdings Verbotsmöglichkeiten für Versammlungen mit volksverhetzendem Charakter. Die sollen untersagt werden können, wenn dort gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Aufstachelung zu Hass und Gewalt oder NS-Verherrlichung stattfindet. Dies gilt insbesondere für 23 historisch besonders schutzwürdige Gedenkorte Berlins sowie bestimmte Gedenktage (27. Januar, 8. und 9. Mai, 9. November).

Dass beim Versammlungsgesetz durchaus noch mehr geht, zeigt sich wohl auch daran, dass die Gewerkschaft der Polizei den Entwurf gut findet und sich über mehr Rechtssicherheit freut.

Immerhin sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes im Herbst noch Änderungen möglich: Der Entwurf dreht zunächst ein paar Runden durch Fachausschüsse und Anhörungen. Dort sollten die Einwände etwa des RAV aufgegriffen werden. Gareth Joswig