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: So lässt man sich gern betrügen

"I See You – Das Böse ist näher als du denkst" (USA 2019, Regie: Adam Randall. Die DVD ist ab rund 12 Euro erhältlich.

Die Kamera: ein Wesen aus einer anderen Welt. Könnte man jedenfalls denken, wenn sie aus der Höhe an den Ort des Geschehens heranfliegt, wenn sie durch den Wald kriecht, wenn sie auf das Haus zuschießt, in dem sich schreckliche Dinge abspielen werden. Losgelöst ist diese Kamera von Subjekten des Sehens, nicht nur Zeugin, so will es scheinen, sondern selbst eine Kraft. „I See You“ nicht weit entfernt von „I Kill You“, die Frage ist nur: Wer ist das Ich, das hier sieht, das hier tötet. Wenn man etwa in der Mitte des Films erste Antworten auf diese Frage bekommt, wird man feststellen: Alles war ein groß angelegtes Täuschungsmanöver.

In einer kleinen Stadt trägt sich Furchtbares zu. Kinder verschwinden, ausschließlich Jungs, die ermittelnden Polizisten erinnern sich an Jahre zurückliegende Fälle, die nie aufgeklärt wurden. Die Familie Harper, die im Zentrum des Films steht, ist über den Vater (Jon Tenney) mit der Sache verbunden: Er ist einer der Ermittler, etwas zerknautscht, alles andere als eine große Nummer. Der Familienfrieden ist gestört, seine Frau (Helen Hunt) hat ihn mit einem alten Studienfreund betrogen, es ist vorbei, sagt sie, das hilft aber wenig, der gemeinsame Teenager-Sohn Connor schlägt sich auf die Seite des Vaters und akzeptiert nicht mal das Frühstück der Mutter.

Sie ist Ärztin, kommt offenbar aus einer Familie mit Geld, das Haus der Harpers ist riesig, verwinkelt, hat hintenraus einen sehr beeindruckenden Blick auf einen See. Unheimliches tut sich in diesem Haus, dessen Keller und Kammern, dessen Dachboden und Verschläge man im weiteren Verlauf kennenlernt. Es ist, als spuke es oben und unten und mittendrin auch, zwischen all diesen Wänden: Der Fernseher schaltet sich einfach so an, die Nadel des Plattenspielers wird wie von Geisterhand auf die Rille gesetzt, eines der Familienfotos auf dem Treppenaufgang war eben noch da, jetzt ist es weg. Ein Blumentopf fliegt von hoch oben auf einen Kopf. Connor, der Sohn, bekommt rätselhafte Botschaften über das Netz. Und dann sieht man im Hintergrund unscharf heranschleichende Schemen und Schatten mit der Axt in der Hand.

Die Topoi des Horrorfilms sind also fast vollzählig versammelt, die, die aus dem finsteren Wald und von draußen reinkommen, die mit der Axt, die mit der Unheimlichkeit des eigenen Heims und die mit der unerklärlichen Botschaft im Internet auch. Dazu kommt noch die wie schlecht geölte schwere Türen mit Bässen schwül drückende, aber nie in ein richtiges Lärmgewitter ausbrechende Musik. All das ist da, und dann ist es weg.

Denn ungefähr in der Mitte des Films gibt es eine Zäsur, eine radikale Verschiebung der Perspektive. Szenen, die man im ersten Teil sah, sieht man ein weiteres Mal, nur stellt sich alles, was war, nun als etwas ganz anderes dar. Was genau hier passiert, sei bei Gott nicht verraten, man muss aber sagen, dass die Verschiebung, die auch eine Verschiebung des Genres ist, etwas Gewaltsames und, wahrscheinlich notgedrungen, auch etwas Enttäuschendes hat.

Allerhand an Erklärung muss nun nachgereicht werden. In den Vordergrund rücken zwei Personen, die bis dahin nicht aufgetaucht waren. Es bleiben am an Leichen nicht armen Ende ein paar Lücken in der Logik des Ganzen. Trotzdem ist dem Drehbuchdebütanten – es ist der bislang eher mittelerfolgreiche Schauspieler Devon Graye – eine hinreichend ver­blüffende Variation des allzu Vertrauten gelungen.

Der Brite Adam Randall hat es mit dem Selbstbewusstsein des Könners verfilmt, der weiß, was er tut. Wie brüchig der Boden ist, auf dem sich das alles bewegt, versteht man erst, wenn es zu spät ist. So lässt man sich dann doch gern betrügen. Ekkehard Knörer