App für Perspektiven-Vielfalt: Sie wollen gelernt haben

Das Journalismus-Start-up „The Buzzard“ musste schon vor dem Start seiner App harsche Kritik einstecken. Haben die Macher dazugelernt?

Hände symbolisieren Streitschlichtung

Das Journalismus-Start-up The Buzzard will zu einem Diskurswandel beitragen Foto: Tobias Kleinschmidt/dpa

Die Ziele sind ambitioniert. Nichts weniger als einen Wandel des „vergifteten Diskurses“ will The Buzzard erreichen. Dazu hat das junge Team um die beiden Gründer Felix Friedrich und Dario Nassal eine Plattform entwickelt, auf der Nutzer*innen zu aktuellen Debatten und Nachrichten unterschiedliche Perspektiven finden können.

Wichtig dabei: Die verwendeten Quellen sollen möglichst vielfältig sein – von klassischen Leitmedien zu Blogs, von links nach rechts. „Wir glauben nicht, dass das Internet dafür gemacht wurde, dass Menschen in Filterblasen verschwinden“, sagt Friedrich.

Für ihre Idee bekamen die Macher seit dem Start der Testphase 2017 viel Anerkennung aus der Branche. Neben einigen Innovationspreisen konnte The Buzzard auch schnell etliche prominente Unterstützer gewinnen, eine Crowdfunding-Kampagne spielte über 170.000 Euro ein.

Doch dann folgte Ende vergangenen Jahres heftige Kritik. Der Grund: Während der öffentlichen Testphase des Prototyps hatte es eine illustre Liste von rechtsradikalen, verschwörungsideologischen und staatsnahen Medien in die Quellenauswahl geschafft. Zur Frage, ob die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen eine gute Präsidentin wäre, durfte etwa das rechtsextreme Blog PI-News als Pro-Standpunkt herhalten.

Quellen nach Vertrauenswürdigkeit sortiert

Gründer Nassal erklärte damals, man habe bloß das Narrativ der Rechten offenlegen wollen. Zudem wolle man nicht einzelne Medien kategorisch ausschließen, sondern die jeweiligen Beiträge auf ihren Gehalt hin prüfen. Für weitere Irritationen sorgte allerdings, dass die Selbstbeschreibung dieser Medien von der Buzzard-Redaktion ohne entsprechende Einordnung wiedergegeben wurde.

Statt einer Offenlegung gefährlicher Narrative finde schlicht eine Gleichsetzung von unseriösen mit seriösen Quellen statt, so die Kritik. Mehrere Unterstützer*innen wie der CDU-Politiker Ruprecht Polenz oder die Journalistin Hatice Akyün distanzierten sich öffentlich von dem Projekt.

Zum offiziellen Start der App am Dienstag betonten die Macher nun, aus der Kritik gelernt zu haben. Gemeinsam mit dem journalistischen Beirat habe man in den vergangenen Monaten an der kritisierten Methodik gearbeitet. Herausgekommen sind dabei unter anderem drei Kategorien, in die Quellen anhand ihrer Vertrauenswürdigkeit sortiert werden.

Medien, die auf dem dritten Stapel landen, werden nicht verwendet, weil sie gegen journalistische Mindeststandards oder eines der Ausschlusskriterien – wie rassistische Inhalte – verstoßen. Dazu zählen etwa PI-News, Indymedia, Compact oder die Sezession.

Angebot für Menschen mit wenig Zeit

Zahlende Nutzer*innen bekommen jetzt täglich um 18 Uhr einen kuratierten Perspektivenüberblick zu drei aktuellen Nachrichtenthemen. Dazu stellen die Redakteur*innen etwa fünf Artikel zusammen, schreiben eine kurze Zusammenfassung und ordnen Quellen und Autor*innen ein.

In der weiteren Rubrik Debatte wird dagegen klar in Pro und Contra unterschieden – entsprechend werden bewusst Meinungsbeiträge ausgewählt. Zum Start der App lautete die Frage beispielweise, ob die Bundesregierung die Coronakrise bisher gut gemanagt habe. Von fragwürdigen Quellen war wenig überraschend nichts mehr zu sehen.

Ihre App sehen Nassal und Friedrich vor allem als Angebot für Menschen, die wenig Zeit haben. Wegen des festen Erscheinungstermins, der redaktionellen Kuration und des kompakten Überblicks erinnere man dabei fast schon an eine gedruckte Zeitung, sagen die Gründer. Ein Produkt, dessen ins Digitale transformierte Übersichtlichkeit sich viele Nutzer*innen wünschen würden, so Nassal.

Gefühlte Wahrheiten als Prämissen

Das kann für diese Nutzergruppe tatsächlich gut funktionieren. Wer sich über die Themen des Tages kompakt und dennoch vielfältig informieren möchte, bekommt mit der Auswahl und den gut lesbaren Zusammenfassungen der Buzzard-Redaktion durchaus einen Mehrwert geboten. In Bezug auf das selbsterklärte Ziel eines Diskurswandels überzeugt die App dagegen weniger.

Das liegt vor allem daran, dass bereits die Prämissen der Macher eher gefühlte Wahrheiten sind: Überall Filterblasen, immer mehr Menschen lesen nur noch, was ihr Weltbild bestätigt, die Demokratie in Gefahr? Das mögen Befunde sein, die täglich durch den öffentlichen Diskurs getrieben werden. Allerdings: So schmissig sich damit komplexe gesellschaftliche Probleme auf simple Konzepte herunterbrechen lassen, so wenige empirische Beweise aus der Forschung gibt es dazu – im Gegenteil.

Ähnliches gilt für die stille Annahme, dass Menschen mit extremistischen Positionen einfach nur die richtigen Argumente kennen müssten, um ihren Irrweg einzusehen. Ganz abgesehen davon, dass sich diese wohl kaum eine App wie The Buzzard installieren werden.

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