Queerer Pop von Perfume Genius: Hitze auf dem Dancefloor

Mit seinen queeren Themen bietet er Identifikationspotential. Der US-Popstar Perfume Genius hat ein neues Album.

Perfume Genius Kleidung erinnert an Robin-Hood-Filme.

Perfume Genius versteht sich auch auf die Komposition schwuler Feel-good-Gassenhauer. Foto: Andrew J. S.

„Queersein bestimmt meine Wahrnehmung der Welt“, sagt Mike Hadreas, „ob ich will oder nicht.“ Dann stockt seine androgyne Stimme im Gespräch per Skype. Der US-Künstler ist zugeschaltet aus Los Angeles, er wickelt sich eine Decke um die Schultern. „Mein ganzes Leben lang sehne ich mich an den Punkt zurück als Kind, bevor mir die Welt indoktriniert hat, dass es nicht okay ist, ich selbst zu sein.“

Seit einem Jahrzehnt ist Perfume Genius, wie Hadreas auf der Bühne heißt, eine der wichtigsten schwulen Stimmen im Indiepop. Nach seinem Debütalbum „Learning“ (2010) wurde er rasch mit Antony Hegarty von Antony and the Johnsons verglichen, heute gehört zu seinen Fans auch der gefeierte Bestsellerautor Ocean Vuong.

Perfume Genius bietet viel Identifikationspotenzial für Queers, er erzählt Geschichten, die sonst im Pop kaum vorkommen. Die sind nicht immer lustig: In der morbiden Klavierballade „17“ vom zweiten Album etwa rief Hadreas ein Gegenüber dazu auf, ihm den Körper in eine Violine zu falten und dann an einen Zaun zu binden und mit Sperma zu besudeln. Es liegt nahe, dabei an den brutalen Mord an dem schwulen College-Studenten Matthew Sheppard zu denken, der 1998 im Alter von 21 von zwei Gleichaltrigen mit einer Pistole blutig geschlagen und an einen Zaun gebunden wurde.

Auf dem gleichen Album findet sich indes auch der utopische Song „All Waters“, in dem sich der 38-jährige Künstler eine Welt herbeisehnt, in der er auf offener Straße ohne Angst eine Hand, womöglich die seines Lebenspartners Alan, halten kann: „When I can take your hand / On any crowded street / And hold you close to me / With no hesi­tating.“

Es singt ein Mann, der einen anderen Mann begehrt

Für Heteros vielleicht schwer verständlich, aber für viele Queers Alltag: Dass sie sich aus Furcht vor zunehmenden Hassverbrechen nicht trauen, Zuneigung an öffentlichen Orten zu zeigen. In den Songs von Perfume Genius entwickelt das durchaus gesellschaftspolitische Wucht.

Perfume Genius: „Set My Heart on Fire, Immediately“ (Matador/Beggars/Indigo).

Auf seinem nun veröffentlichten fünften Album, „Set My Heart on Fire, Immediately“, hat sich Perfume Genius weiter als je zuvor wegbewegt von den reduziert arrangierten Songs der Anfangszeit, die hauptsächlich vom Klavier und seiner klagenden Stimme lebten: Mittlerweile schichtet Perfume Genius Synthies zu dramatischen Sound­scapes – und versteht sich auch auf die Komposition schwuler Feel-good-Gassenhauer, pardon, Tanzbodensmasher wie „On the Floor“ inklusive funky Groove und Doo-Wop-Chor.

Ganz klar ist dabei: Es singt ein Mann, der einen anderen Mann begehrt. Denn Perfume Genius verwendet immer die entsprechenden grammatischen Pronomen. „Das scheint erst mal nur ein Detail zu sein“, sagt er im Interview, „aber hat doch große Stoßkraft. So was hätte ich als Teenager gut gebrauchen können.“

Im Video zu „On the Floor“ sieht man Wüstenstaub, Zigarren, Autoreifen. Und dann kämpft Perfume Genius mit diesem anderen Typen oder macht Liebe, es wird nicht klar. Das Styling wirkt jedenfalls konventionell-maskuliner als beim frühen Perfume Genius. Der kontert: „Ich liebe seine Version eines hypermaskulinen Urbildes im aktuellen Artwork. Die ist nämlich auf ihre Weise auch sehr theatralisch, Camp, over-the-top.“

„Popmusik hat sich immer an Queer-Kultur bedient“

Auch der übellaunige Song „Jason“ vom neuen Album erzählt klar vom Lieben zweier junger Männer. Einer von beiden traut sich anfangs nicht, sich auszuziehen. Es könnte sein erstes Mal mit einem Mann sein. Vielleicht ja eine gar nicht so seltene Szenerie für eine Generation von Thirtysomethings, die fluider denkt in ihren Identitäten als frühere Jahrgänge.

Überhaupt ist es das große Verdienst von Perfume Genius, dass er schon in den Zehnern, in etwa zeitgleich mit Künstlern wie dem schwulen Avantgarde-Elektronik-Popper Patrick Wolf und der transgender Rock ’n’ Rollerin Ezra Furman mit queeren Themen im Indie-Terrain so vorangeprescht ist, dass sich auch der Mainstream weniger fürchtete: Im Chartspop folgten Sam Smith, Years & ­Years und Halsey. 2019 war ein schwarzer schwuler Teenager so lange auf Platz eins der US-Charts wie niemals zuvor: Lil Nas X.

„Pop-Musik hat sich immer an queerer Kultur bedient“, sagt Perfume Genius der taz. „Als Spielzeug taugte das anscheinend gut. Aber früher war es nie so queer, dass es zur Bedrohung geworden wäre. Nur so weit, dass es interessant wirkt und Spaß macht.“ Das ändert sich gerade: Queere Geschichten werden gehört, jüngst etwa auch bei der französischen Disco-Chanteuse Christine and the Queens und der britischen Elektronikproduzentin Sophie.

So wie Perfume Genius selbst als Teenager von den campy Filmen eines Gregg Araki und vom theatralischen Songwriting des Kanadiers Rufus Wainwright inspiriert wurde, ist er nunmehr selbst ein großer Inspirator für eine Welt, in der queere Liebe kein bisschen besser oder wichtiger wäre als Hetero-Liebe, aber eben auch kein bisschen unwichtiger oder schlechter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.