Camping in Mecklenburg-Vorpommern: Ein Lebenstraum...

Sommerzeit ist Campingzeit. Trotz Corona öffnen in Mecklenburg-Vorpommern die Zeltplätze. Zu Besuch am Blanksee.

Ein Wohnwagen auf einem Campingplatz im Dunkeln

Camper:innen haben ihr eigenes Reich zwischen den anderen Foto: Johan Warden/plainpicture

Auf der Autobahn Richtung Urlaub regnet es in Strömen. Der Himmel ist so grau, dass es scheint, als spiegele er die alten Fahrbahnplatten. Zwischen ihnen schleichen Wagen in Stadtgeschwindigkeit. Neben Lkws und vollgepackten Kleinwagen sind an diesem Montagmittag seit Langem auch wieder Camper und VW-Busse unterwegs. Denn dem Wetter zum Trotz startet heute die Feriensaison in Mecklenburg-Vorpommern.

„Wir hatten zwei Wochen gutes Wetter, heute dürfen wir wieder öffnen, und nun das …“, sagt Erni Schippers und schaut auf ihrem kleinen Campingplatz am Blanksee um sich. Auf einem gemähten Feld stehen ein paar Holzhütten und Campingwagen, am Rand eine Bauminsel. Unter den Bäumen: eine Tischtennisplatte und eine Schaukel. In den Baumkronen zwitschern die Vögel aufgeregt. Die Luft ist vom Regen noch so kühl, dass Schippers einen warmen Parka über ihrer schwarzen Kleidung trägt. „Die Leute kommen trotzdem, die wollen raus“, sagt sie und läuft zur Rezeption.

Für gewöhnlich startet die Campingsaison in Mecklenburg-Vorpommern Anfang April. Doch wegen der Coronapandemie blieben die Campingplätze und Ferienunterkünfte bis Anfang der Woche geschlossen. Erst an diesem Montag öffnen sie für Gäste, die von außerhalb des Bundeslandes kommen. Es gibt Auflagen, doch weder diese noch das Wetter können die Camper:innen aufhalten. „Als ich gehört habe, am 25. Mai geht’s los, war ich sofort am Telefon“, sagt Karl-Heinz Pompe, während er am Rezeptionshaus wartet.

Schippers’ Platz am Blanksee liegt weder am Meer noch direkt an der Mecklenburgischen Seenplatte. Er liegt irgendwo im Nirgendwo, an einem See, der auf der Landkarte kaum erkennbar ist. Das Bekannteste im Umkreis ist das Bier der nahegelegenen Kleinstadt Lübz. Die Straßen sind hier einspurig und holprig asphaltiert, neben ihnen ziehen sich Schotterstreifen zum Ausweichen, falls einem ein Traktor entgegenkommt. Hierher reisen Menschen aus Berlin, Mainz, Bad Tölz, von überall her.

Karl-Heinz Pompe und seine Freundin Gabi Werth sind schon einen Tag zuvor in Wuppertal losgefahren und haben die Nacht auf einem Parkplatz in Niedersachsen verbracht. „Mich zieht es immer in die neuen Bundesländer: Meck­lenburgische Seenplatte, Potsdam, Ostsee. Was anderes kam für mich gerade dieses Jahr nicht infrage“, sagt Pompe. „Ich muss echt überlegen, wann ich mal woanders Urlaub gemacht habe. Schwarzwald, das ist aber auch schon acht Jahre her.“ Viele Camper:innen sind ­Gewohnheitsmenschen. Umso wichtiger für sie, dass sie nun wieder die Anhängerkupplung aufbocken und die Markise ausrollen können.

Lernen, Augen zu lesen

„Ich habe schon was vorbereitet“, sagt Pompe und streckt der Campingwärtin Schippers einen Zettel entgegen. Es ist das Anmeldeformular mit der Unterschrift, die belegt, in den vergangenen zwei Wochen zu keinem Coronafall Kontakt gehabt zu haben. Außerdem muss jeder an der Rezeption einen Mund-Nase-Schutz tragen. „Ham’ wa dabei, das ist das Erste, was ich einstecke, noch bevor ich Socken anziehe“, sagt Pompe. Seine braunen Augen lächeln über die weiß-blaue Maske hinweg.

Die Einschränkungen der vergangenen Wochen haben alle gelehrt, Augen zu lesen und neue Umstände anzunehmen. Zumindest hier auf dem Platz scheint es niemandem schwerzufallen. Vor der Plexiglasscheibe der Rezeption ist eine kleine Spendenkasse, „Freiwillige Corona-Spende statt Preiserhöhung“ steht darauf. Am frühen Nachmittag liegen einige kleine Scheine und Münzen darin.

Schippers und Pompe kommen auf dem Weg zu einem Stellplatz an einem Berliner Camperpaar vorbei. Es sitzt in Fleecejacken gewickelt auf Klappmöbeln vor seinem Wohnmobil. „Mensch, dit is ja wie uffm Kudamm hier“, ruft die Camperin vergnügt. „Was, so viele Leute waren da unterwegs die letzten Wochen?“, antwortet Pompe und lacht.

Wer ankommt, holt als Erstes die eigene Sitzgarnitur aus dem Wagen und setzt sich genussvoll ins Grau. Camper:innen haben ihr eigenes Reich zwischen den anderen, das so gut durchgeplant ist wie die Inneneinrichtung ihrer Wagen. Abstandsregeln braucht es kaum, denn sie teilen mit anderen nur die Ruhe und die Wasserleitung. Dass das Essen nur noch außer Haus verkauft wird, stört nicht weiter, denn auf der eigenen Terrasse ist es doch am schönsten.

„Guten Taaag“

Erni Schippers läuft den Nachmittag über hin und her, zwischen Platzvergabe und Anmeldung. Zeitweise wartet dort eine Kolonne von Wagen auf sie. Wenn Schippers dann quer über den Platz „Guten Taaag“ ruft, wirkt sie glücklich. Damit ist sie unter den Campingwarten in Mecklenburg-Vorpommern eher eine Ausnahme. Nicht, dass die anderen unglücklich wären, doch klingen sie oft eher knurrig als euphorisch.

„Ich komme aus Holland“, sagt Erni Schippers wie zur Erklärung. Vor 15 Jahren zog sie mit ihrem Mann nach Mecklenburg-Vorpommern, um „etwas weit ab vom Massentourismus“ zu erschaffen. Inzwischen haben Schippers und ihr Mann vier Kinder hier großgezogen und einen Kreis von Stammcampern aufgebaut. „Man kennt sich“, sagt Schippers. „Manche erkenne ich nicht sofort wegen des Mundschutzes, aber später dann“, ergänzt sie lachend. Und selbst wenn nicht – hier wird jede:r per Du angesprochen.

Am Nachmittag ist die Wiese allmählich eingerichtet. Zum Zwitschern der Vögel mischen sich das dumpfe Knallen von Autotüren, das blecherne Rühren von Löffeln in Kaffeebechern und leise Unterhaltungen aus den Vorzelten zu einem Geräuschbrei, wie es ihn nur auf Campingplätzen gibt.

Unter den Bäumen, mit Blick auf den See, stehen drei Busse. Ein junger Camper in schwarzer Wattejacke gestikuliert am Kofferraum seines Transporters. Drei Erwachsene und ein Baby schauen ihm zu, wie er Kisten und Fahrräder auf Schienen aus dem Kofferraum zieht, sie hören zu, wie er ein Duschsystem aus Wasserleitung, Wasserboiler und Solarpanel erklärt. Seit Dezember habe er an dem Innenraum gebaut, „in jeder freien Minute“, sagt er.

Der junge Camper ist Hendrik Borgmann, ein Psychologe aus Münster. Gemeinsam mit seiner Freundin wäre er jetzt eigentlich auf dem Weg nach Kirgistan. Im Frühjahr sollte es losgehen. Die Jobs waren gekündigt, die Wohnung untervermietet. „Da war Corona vor zwei Monaten dann ein richtiger GAU“, sagt Borgmann. Es sei nicht um existenzielle Probleme gegangen, betont er, aber ihr Plan einer Weltreise scheiterte.

Camperin Anna Niesling

„Ich genieße es eh mehr, wenn wir in der Pampa stehen“

Während Borgmann Details des Transporters vorführt, sitzt seine Partnerin Anna Niesling im vorderen Teil des Transporters, hinter einem Macbook auf dem umgedrehten Beifahrer:innensitz. Einen Campingplatz brauchten die beiden bisher nicht, denn ihr Transporter habe alles, was sie zum Leben benötigen.

Niesling erzählt von Mountainbiketouren im Sauerland, Wanderungen im Harz, auf freien Wanderwegen an geschlossenen Souvenirhütten vorbei – „mega schön“ –, und von der völlig menschenleeren Bastei in der Sächsischen Schweiz. „Moment, da muss ich Fotos zeigen, das ist irre!“ Mit Blick auf die letzten zwei Wochen ist sich das Paar einig: „Corona hat auch etwas Gutes.“

Urlaub in der Region wird zweifelsohne beliebter werden. Doch gerade jetzt sind die Kapazitäten der nahegelegenen Erholungsorte wegen der Abstandsregelungen begrenzter denn je. Mehr als fünf Millionen Übernachtungen zählten die Campingplätze Mecklenburg-Vorpommerns im vergangenen Jahr. Durch die Corona-bedingten Regelungen könnten nun über das Jahr verteilt bis zu zwei Millionen Übernachtungsplätze wegbrechen.

„Ich genieße es eh mehr, wenn wir in der Pampa stehen“, sagt Niesling. Sie und Borgmann gehören nicht zu den Stammcampern. Sie sind mobil und mit ihrer Ausstattung fast unabhängig von festen Plätzen.

Und doch gibt es Grenzen: Ihre Reiseroute richtet sich nach den neuen Regeln der Erreichbarkeit. Nun gilt es, neue Orte zu entdecken wie etwa den Campingplatz am Blanksee, der laut Betreiberin Erni Schippers – noch – als Geheimtipp gehandelt wird.

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