Unter falscher Flagge

Auf dem Marktplatz wird heute für Frieden demonstriert – dahinter stecken Vertreter der homophoben evangelikalen Gemeinden in Bremen, die ein Glaubensfest umwidmen

Zum „Mut zur Liebe“ kann sich die Evangelische Allianz trotz ihrer Neigung für starke Schlagwörter wohl nicht bekennen Foto: Christoph Schmidt/dpa

Von Lotta Drügemöller

Hoffnung und Frieden und Zusammenhalt in der Gesellschaft: Am Samstag wird auf dem Bremer Marktplatz für diese Ziele demonstriert – das kündigte Pastor Burkhard Ahlers von der Hohentorsgemeinde gegenüber dem Evangelischen Pressedienst epd an. Organisiert hat er die Veranstaltung für die „Evangelische Allianz Bremen“ – einen hiesigen Zusammenschluss evangelikaler Gemeinden. Auch die St.-Martini-Gemeinde, die an ihrem umstrittenen Pastor Olaf Latzel festhält, gehört dazu.

Latzel hatte in einem öffentlichen und online publizierten „Eheseminar“ 2019 Homosexualität als „satanisch“ und „todeswürdig“ bezeichnet. Der Pastor war schon früher mit abfälligen Bemerkungen gegenüber anderen Religionen und „Genderdreck“ aufgefallen. Seit Ende April ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und Beleidigung gegen ihn.

Latzel und seine Martini-Gemeinde sind den Evangelikalen zuzurechnen, weil sie sich als konservative Christen wortgetreu an der Bibel orientieren wollen. Allerdings gilt das nicht für alle Gebote der Bibel, sondern vor allem immer dann, wenn es um Geschlechterrollen und sexuelles Begehren geht.

Die jetzige Veranstaltung hat auf den ersten Blick nicht viel mit diesen Glaubensvorstellungen zu tun: „Eine Demo für jeden Menschen“ wolle man machen, so Pastor Ahlers gegenüber dem epd, mit dem Ziel, „Gottes Liebe und Beistand den Leuten auf den Kopf zuzusprechen“.

Eine richtige Demonstration scheint die Veranstaltung eigentlich nicht zu sein: Es soll gesungen, gebetet, gelobt und gefeiert werden, „Verkündiger/innen“ und Kirchenmusiker*innen treten auf. Schon Anfang des Jahres hatte die Allianz laut Innenbehörde ein Festival mit 600 Teilnehmer*innen angemeldet. Eine solche Versammlung ist momentan nicht zulassungsfähig. Angemeldet ist das Event beim Ordnungsamt deshalb jetzt als Demo mit bis zu 100 Teilnehmer*innen unter dem Namen „Gesellschaft stärken durch Hoffnung im Glauben – geht das?“. Auf der Website wird die Veranstaltung allerdings weiter als „Festival der Hoffnung“ beworben.

Ob Fest oder Demo: Dass das Event eher harmlose Forderungen stellt, sieht auch das Säkulare Forum Bremen so. „Die Evangelikalen drängen jetzt mit aller Macht in den öffentlichen Raum“, so Sprecher Herbert Thomsen. „Aber sie machen das so, dass sie dabei nicht unbedingt als evangelikal wahrgenommen werden.“

44 Menschen aus dem Umfeld einer Bremerhavener Pfingstgemeinde sind nach einem Gottesdienst positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das Bremerhavener Gesundheitsamt rechnet mit weiteren Fällen. Am Gottesdienst hatten etwa 150 Besucher*innen teilgenommen. Die Infizierten sind zwischen zwölf und 80 Jahre alt.

Ob im Gottesdienst Fehler hinsichtlich des Infektionsschutzes gemacht wurden, muss noch geklärt werden. Alle Zusammenkünfte in der Gemeinde sind nun laut einer epd-Meldung für zwei Wochen untersagt.

Schon zuvor war es in einer Pfingstgemeinde in Hessen zu einem größeren Ausbruch gekommen. Die Gläubigen hatten dort entgegen der Vorschriften in der Kirche gesungen und keinen Mund-Nasen-Schutz verwendet.

Evangelikale Gemeinden betreiben in Bremen zwei Schulen, mehrere Kindergärten und ein Sozialwerk. Laut Thomsen veranstalten sie ein Weihnachtssingen mit dem Bremer Fußballverband, arbeiten mit dem BUND zusammen und suchen sich Politiker*innen als Schirmherr*innen für ihre Projekte. „Sie wollen, dass sie aus dem öffentlichen Raum nicht mehr wegzubekommen sind“, so Thomsen. „Sie wollen ohne den Umweg über die evangelische Kirche direkt von der Politik als Gesprächspartner akzeptiert werden.“

Inhaltlich bleibt die EVAB für ihn trotz des unauffälligen Auftretens untragbar: „Die Evangelikalen stützen in den USA Trump und in Brasilien Bolsonaro. Hier sind sie nicht so mächtig, deshalb benehmen sie sich nicht so frech“, so Thomsen. „Aber sonst sind das die gleichen Leute.“ Und weiter: „Das sind alle Brüder von Olaf Latzel im Geiste. Nur ein bischen stiller.“

Tatsächlich hatten sich nach Bekanntwerden der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft 70 Bremer Kirchengemeinden von Latzel distanziert. Seine eigene Gemeinde hielt zu ihm – und auch von den anderen evangelikalen Gemeinden distanzierte sich keine. „Bisher ist das nicht problematisiert worden“, sagt Thomsen. „Latzel ist nicht der eine Verrückte. Er ist nicht alleine.“