Kurzer Prozess

Das queerfeministische Hausprojekt in der Liebigstraße 34 soll laut Gerichts­urteil sein Gebäude verlassen. Sein Anwalt hat aber nicht vor aufzugeben

Festnahme beim Protest am Dienstagabend Foto: Christian Mang

Von Erik Peter
und Manuela Heim

Aller Brisanz, aller Spannung und Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz – am Ende war es ein kurzer Prozess. Die Zuschauer*innen im Kriminalgericht Moabit – elf Medienvertreter*innen, drei Besucher*innen, ein Zivilpolizist – hatten sich gerade gesetzt, als sie zum Richterspruch wieder aufstehen mussten. Die Bewohner*innen der Liebig 34, Szenesymbol und queerfeministisches Hausprojekt, werden verurteilt, Grundstück und Gebäude zu räumen und an den Eigentümer herauszugeben. Zusätzlich sollen angefallene Kosten des Klägers in Höhe von etwa 20.000 Euro sowie die Gerichtskosten beglichen werden. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wie üblich bei einem Versäumnisurteil folgte keine Begründung. Das Urteil beruht auf der Tatsache, das Liebig-34-Anwalt Moritz Heusinger beim letzten Prozesstermin im Januar seine Robe abgelegt und im Publikum Platz genommen hatte, nachdem er einen Befangenheitsantrag gestellt hatte, der im Nachhinein abgewiesen wurde. Inhaltlich hielt Heusinger, der diesmal als einziger Prozessteilnehmer erschienen war, an seiner Kritik fest: Das Gericht benutze ausschließlich das generische Maskulinum, dabei handele es sich bei seinen Mandant*innen explizit nicht um männliche Cis-Personen. Rechtlich, räumte er ein, sei das möglich, dennoch liege ein Verstoß gegen die Richtlinie des Landes Berlin für die Nutzung gendergerechter Sprache in der Verwaltung vor.

Ob sich der Eigentümer, der Berliner Immobilienspekulant Gijora Padovicz beziehungsweise seine Siganadia Grundbesitz GmbH & Co. KG, schon auf eine baldige Räumung freuen dürfen, ist jedoch ungewiss. Heusinger kündigte an, Einspruch gegen das Urteil einzulegen, auch gegen die vorläufige Vollstreckbarkeit. Sein vermeintliches Ass im Ärmel: „Das Gerichtsurteil richtet sich gegen den falschen Verein.“ Zur Räumung verurteilt ist der Verein Raduga e. V.; dieser jedoch habe das Haus bereits 2018 an den Verein Miteinander e. V. untervermietet. „Im Haus ist ein anderer Verein als der Beklagte“, sagte Heusinger, dieser müsse separat „herausgeklagt werden“. Den Untermietvertrag habe er dem Gericht vorgelegt, dieser sei aber nicht gewürdigt worden. Die Liebig 34 reagierte auf Twitter: „Viel Spaß mit eurem unnützen Gerichtsurteil!“

Sicher, dass die Räumung nicht zustande kommt, sind sich Hausbewohner*innen und Anwalt Heusinger aber nicht. Er habe schon erlebt, dass ein Haus geräumt und danach die Rechtswidrigkeit festgestellt werde. Also appellierte Heusinger an den Senat: „Ich hoffe, dass das Land Berlin mit Räumungsversuchen in Coronazeiten noch mal vorsichtiger ist.“ Ganz so schnell wird es aber sowieso nicht gehen, stattdessen ist ein mehrmonatiger Prozess wahrscheinlich: Nach der Aufforderung, freiwillig zu gehen, wird ein*e Gerichtsvollzieher*in eingesetzt, der*die dann wiederum eine Frist setzen muss.

Es bleibt also genug Zeit zum Protest: Bereits am Dienstagabend waren etwa 300 Demonstrant*innen durch Friedrichshain geströmt, um an wechselnden Orten ihre Solidarität mit der Liebig 34 mit Sprechchören, Transparenten und Pyrotechnik zu bekunden. Die Polizei überprüfte die Personalien von 200 vermeintlichen Teilnehmer*innen und leitete 15 Ermittlungsverfahren ein.

„Das Gerichtsurteil richtet sich gegen den falschen Verein“

Liebig-34-Anwalt Moritz Heusinger

Während des Prozesses versammelten sich auf dem Dorfplatz vor der Liebigstraße 34 rund 150 Menschen, um der alternativen Gerichtsversammlung beizuwohnen. Ein gutes Dutzend Polizist*innen drückte sich an die Wände der Seitenstraßen. Bewohner*innen der Liebig 34 hatten zum Theaterstück geladen, statt zum Gericht zu mobilisieren, weil „wir uns schlicht und einfach weigern, mit diesem bürokratischen Akt zu kooperieren“.

Die Wahrheiten, die dort mit musikalischer Untermalung inszeniert wurden, waren einfach: Vermummte zündeten das Auto des Klägeranwalts an: Applaus. Der beschlipste Anwalt vertritt nur eins, das Recht auf Profit: Buhrufe. Der Richter hat eh die ­Arschkarte gezogen und macht sich mit Ordnungsrufen lächerlich: Gelächter. Die Vertreter*in der Liebig 34 verteidigt in einem brennenden ­Plädoyer diesen Ort der „Vielfalt und Toleranz“: tosender Applaus. Vermummte vermöbeln Polizist*innen: Applaus.

Schließlich die trostlose Nachricht vom Räumungstitel. Kurzes Schweigen aus der Lautsprecheranlage, „damit müssen wir jetzt erst mal umgehen“. In einem später veröffentlichten Statement waren die Worte wieder gefunden: „Die Bewohner*innen und Nutzer*innenkollektive der Liebig 34 werden nicht aufgeben und das Haus keiner kapitalistischen Verwertung überlassen!“