Kulturvermittler ohne Job

Dominik Pratesi ist Stadtführer und VHS-Dozent. Durch Corona sind ihm alle Einnahmen weggebrochen. Von der Stadt Hamburg hätte er mehr Hilfe und Wertschätzung erwartet

Führt normalerweise Italiener durch Hamburg: Dominik Pratesi Foto: Filippo Pratesi

Von Katrin Ullmann

Am Herzen liegen Dominik Pratesi seine beiden Berufe – aber eigentlich ist es eine einzige Berufung. Eine kleine Ewigkeit lang schon arbeitet er als Italienischlehrer an der Hamburger Volkshochschule, und zudem als freiberuflicher Stadtführer in Hamburg. Pratesi, Sohn einer eines Italieners und einer Deutschen, hat eine Gabe für das Kommunikative, kennt beide Welten gut, zwischen denen er heute vermittelt.

Seine Grundschulzeit in den frühen 1970er-Jahren verbrachte er in der Toskana, kehrte anschließend in seine Geburtsstadt Bremen zurück, wo er Romanistik und Angewandte Kulturwissenschaften studierte. „Ich präsentiere den Deutschen Italien und den Italienern Deutschland. Weil ich beide Länder liebe, mich in beiden Ländern beheimatet fühle und weil ich beide Länder nicht im Vergleich, sondern in ihrer Andersartigkeit sehe“, sagt er.

Das Verbinden von Welten und Vermitteln zwischen Kulturen kennzeichnet auch Pratesis Berufe. „Kannst du dir nicht vorstellen, als Stadtführer zu arbeiten?“, hatte ihm Anfang der 2000er-Jahre mal einer seiner VHS-Kursteilnehmer, selbst Stadtführer, vorgeschlagen. In vier Sprachen führt Pratesi seither Gäste aus Italien, aus der Schweiz, Österreich, Frankreich und auch aus Nordafrika durch Hamburg. Er zeigt Delegationen aus Tunesien oder Marokko die Speicherstadt und den Hafen, erklärt Geschäftspartnern von Airbus oder Montblanc den Bau der Elbphilharmonie und die neuesten Entwicklungen in der Hafencity. „Ich mache nicht nur Führungen, in denen ich sage: Hier stehen wir jetzt vorm Hamburger Rathaus aus dem Jahre 1897. Sondern ich erkläre auch, was in diesem Rathaus passiert.“ So entstehen bei den Gästen echte Aha-Momente, so bekommen sie einen Einblick in die jeweils andere Kultur.

Entsprechend gut liefen die Geschäfte. Von Jahr zu Jahr kamen mehr Aufträge rein. „Wir hatten einen unvergleichbaren Boom über die letzten fünf Jahre. Ich konnte endlich gut davon leben, konnte Rücklagen schaffen. Bereits Anfang dieses Jahres war ich mit Buchungen bis in den Juli hinein abgedeckt“, sagt Pratesi.

Aber seit Corona ist alles anders. Über den Hamburger Dachverband der deutschen Gästeführer gut vernetzt, erfuhr Pratesi schon Mitte Januar von Kollegen, dass es aus China Absagen hagelte. Und als die ersten Coronafälle in Italien auftauchten, „da wussten wir, das schnürt sich zu“. Spätestens, als Ende April die Entscheidung kam, alle Spielstätten in Hamburg zu schließen, war klar: Da kommt nichts mehr. Die Stornowelle reicht bis in den Herbst. Der Schock saß in den ersten Tagen aber noch gar nicht so tief: „Ich und viele andere Kollegen dachten: Gut, dass wir mit den Kursen an der Volkshochschule noch ein zweites Standbein haben.“

Zunächst hieß es auch, der VHS-Betrieb ginge trotz der allgemeinen Schulschließungen weiter. Wenig später wurden die Kursleiter informiert, dass unklar sei, wie es mit der Lohnfortzahlung für die Honorarkräfte funktionieren werde. „Es ist eigentlich ein Systemversagen, denn die VHS ist der Schulbehörde unterstellt, und diese denkt als allerletztes an die Honorarkräfte“, ärgert sich Pratesi und fügt hinzu: „Seit April ist es mit Zustimmung der VHS immerhin möglich, via Videokonferenz zu unterrichten. Aber das gilt auch nur noch bis Sommer. Wie es im Wintersemester aussieht, steht in den Sternen.“

Und bei den Kollegen, deren Kurse nicht online weitergeführt werden konnten, gab es seit April keine Honorarfortzahlung und seitens der Schulbehörde nur den Hinweis, es gebe doch diese Soloselbstständigenhilfe. Doch schon bald waren die beantragten und bewilligten Soforthilfen aufgebraucht. Auch deshalb demonstrierten am vergangenen Freitag die Gästeführer unter dem Motto „Ohne uns ist Hamburg nur eine Stadt“. Schließlich sind etwa in Wien und anderen Städten Führungen wieder erlaubt. In kleinen Gruppen, die Mindestabstand garantieren, und mit Visieren für die Stadtführer.

Wenn Pratesi darüber spricht, wie sich seine jahrzehntelang aufgebaute Arbeit gerade in Luft auflöst, bleibt er sachlich. Für ihn ist die Situation zum Glück nicht existenzbedrohend: Seine Frau, Studienrätin, hat einen sicheren Job. Und Pratesi ist keiner, der den Kopf in den Sand steckt, sieht sich gerade jetzt als Fürsprecher und Kämpfer für seine Branche und seine Kollegen – Pratesi ist im Vorstand des Hamburger Dachverbands der Gästeführer aktiv.

Was seine und die Verdienstausfälle der Stadtführerkollegen angeht, fühlen sie sich vor allem von der Stadt Hamburg im Stich gelassen. Schließlich hatte die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz seit dem 12. März „öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen, bei denen es zu einer Begegnung von Menschen kommt, sowie Versammlungen unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden untersagt“. 350 Stadtführer und gut 1.400 meist freiberuflich tätige VHS-Dozenten konnten in Hamburg nicht mehr arbeiten – und Geld verdienen.

Aber es gehe nicht nur darum, welche Einbußen sie hätten, „sondern auch darum, welche Rolle wir für Hamburg spielen“, sagt Pratesi: „Unsere Funktion als Kulturvermittler muss sichtbar gemacht werden.“ Um etwas in der Hand zu haben, haben er und seine Stadtführer-Kollegen alle geplanten Buchungen und alle Stornos dokumentiert und der Auftragslage der Vorjahre gegenübergestellt. Eine Petition wird folgen.

Nicht zuletzt macht Pratesi aber auch der psychologische Aspekt zu schaffen. In 30 Jahren Selbstständigkeit hatte er noch nie einen Verdienstausfall. „Da macht man sich schon Gedanken um Sinn, Perspektiven und Wertschätzung.“