Das Virus ist
hinter Gittern

In Niedersachsen hat sich der erste Inhaftierte mit Corona infiziert. Die Pandemie geht im Gefängnis für viele mit noch mehr Beschränkungen einher, Besuche sind nicht erlaubt

So dicht gedrängt wie die Daltons leben niedersächsische Inhaftierte nicht. Es gibt nun dennoch einen Corona-Fall Foto: Mary Evans/imago, Montage: taz

Von Lotta Drügemöller

Freiheitsentzug ist das schärfste Schwert, das der deutsche Rechtsstaat kennt. Für die Inhaftierten bedeutet er nicht nur eine räumliche Begrenzung, sondern auch ein generelles Ausgeliefertsein. In Coronazeiten sind Inhaftierte darauf angewiesen, dass der Staat sie vor der Pandemie schützt.

Um die Enge in den Knästen zu entzerren, haben die Länder einige Maßnahmen ergriffen. In Niedersachsen wird der Jugendarrest ausgesetzt, Freiheitsstrafen bis zu zwölf Monaten können verschoben werden. Bremen geht noch weiter: Dort können auch noch Haftstrafen bis zu drei Jahren für eine Weile ausgesetzt werden.

Auch wenn in Niedersachsen nun der erste Coronafall im Knast bekannt geworden ist, zeigen die Maßnahmen bisher scheinbar einigen Erfolg: Aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wurde bisher keine einzige Infektion aus Gefängnissen gemeldet; in Hamburg waren vier Gefangene infiziert, die bereits wieder genesen sind. Und in Bremen wurde am Mittwoch ein dritter Fall bekannt.

Der erste Corona-Infizierte in Niedersachsen wurde am Dienstag in einer Haftanstalt in Delmenhorst positiv getestet. Laut der niedersächsischen Justizbehörde ist der Mann ein Freigänger – die Abteilung in Delmenhorst gehört zur Justizvollzugsanstalt (JVA) in Vechta und ist eine Einrichtung des offenen Vollzugs. Der Betroffene hatte am 8. Mai bei seinem Arbeitgeber außerhalb der Anstalt gearbeitet und war noch am selben Tag über die Corona-Erkrankung eines Kollegen informiert worden – so wurde er nach seiner Rückkehr vorsorglich isoliert.

Auch in Bremen sind die Infizierten allesamt Freigänger. Die Frage stellt sich: Wäre es nicht sicherer, den Freigang in Coronazeiten auszusetzen – und die Außenwelt außen vor zu lassen? „Es ist eine Abwägungsfrage. Wir könnten das Risiko damit auf jeden Fall minimieren“, sagt ­Matthias Koch, Sprecher der Bremer Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD). „Aber es geht ja auch um Resozialisierung, darum, dass Häftlinge ihren Job nicht verlieren. Wir gehen das Risiko ein.“

Um die Gefahr zumindest zu minimieren, erhalten in Bremen all jene Gefangenen, deren Strafe in den nächsten sechs Monaten endet, Langzeitausgang – das heißt, sie können auch außerhalb des Gefängnisses übernachten und den Virus so nicht einschleppen. In Hamburg wurden einige Freigänger kurzzeitig entlassen – nach der Krise kommen sie wieder in Haft.

Eine andere mögliche Ansteckungsquelle wurde eher auf Kosten der Inhaftierten minimiert: In vielen Gefängnissen gibt es zurzeit keinen oder nur sehr eingeschränkten Besuch. Während in den Altenpflegeheimen die Besuchsverbote mittlerweile aufgehoben sind, müssen sich die meisten Gefangenen noch gedulden. Die Entscheidung für eine Öffnung liegt bei den Haftanstalten.

„Es geht auch um Resozialisierung“

Matthias Koch, Pressesprecher der Justizbehörde Bremen

Mancherorts kommt man den Gefangenen anderweitig entgegen – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß: Hamburg hat Einfachhandys für Gefangene bestellt, die diese für 20 Euro kaufen und auf eigene Kosten aufladen können. In Bremen gibt es nur Leihhandys – dafür ist das Telefonieren damit kostenlos. Auch Niedersachsen hat die Telefonzeiten ausgeweitet. In Mecklenburg-Vorpommern werde zumindest „im Einzelfall eine Erweiterung“ gewährt, teilt die Justizbehörde mit.

Als mögliche Ansteckungsquelle in geschlossenen Einrichtungen bleiben die Justizvollzugsbeamt*innen – es sind nicht nur die Länder, sondern auch die einzelnen Anstalten, die hier einen Verhaltenskodex festlegen. So sollen die Bediensteten im Kontakt mit Häftlingen in Bremen und Niedersachsen Masken tragen. Über die JVA in Hannover heißt es in einem „Galileo“-Beitrag zudem, die Wärter müssten momentan Zwölf-Stunden-Schichten an sieben aufeinander folgenden Tagen machen. Dann bekämen sie 14 Tage frei – müssten aber in dieser Zeit auf Sozialkontakte außerhalb der Familie verzichten.

Dass manche Gefangenen den Infektionsschutz trotzdem nicht hoch einschätzen, wird auf Webseiten deutlich, die Briefe von Inhaftierten veröffentlichen. Bei der „Knast-Soli-Gruppe Göttingen“ schreibt „Bravo Tango“ aus der JVA Hannover: „Hier setzt man das Infektionsschutzgesetz ultra light um, traditionell beschäftigen sich die Hausarbeiter vornehmlich mit der Reinigung der Räume, in denen sich die Aufseher und die Führungsetage aufhalten“.

Auch Isolationsmaßnahmen werden von Gefangenen kritisiert: Auf der Seite der Gefangenengewerkschaft heißt es in einem Schreiben aus der JVA Neumünster, dort würden die Inhaftierten derzeit 23 Stunden in ihren Zellen eingeschlossen. „Es ist die totale Isolation und alles sehr monoton.“