Die Geschichte der Verschwörungstheorien: Mut zum Verstand

Manche Menschen glauben, dass Illuminaten die Welt regieren. Einer der originalen Illuminaten hieß sogar Coronini. Zufall?

Ein türkises Hemd von einem Mann, darauf baumelt eine Aluminiumkugel

Bloßer Ausdruck von individueller Verrücktheit? Foto: Jens Gyarmaty

Die Erde ist hohl. In Tunnelanlagen werden Kinder festgehalten, um ihr Blut zu gewinnen. Die Eliten extrahieren Adrenochrom daraus, um sich zu verjüngen. Wer die Eliten sind, kann man sich denken. Es sind die Illuminaten, oder die Juden. Vielleicht auch Reptilien. Oder alles zusammen. Ihre Chefin heißt Hillary Clinton. Während Sie diese Zeilen lesen, bemühen sich hunderttausend US-Soldaten unter dem Kommando Trumps darum, die Kinder zu befreien. So ungefähr sehen Anhänger des anonymen „Q“ die Welt.

Richard Hofstadter prägte für solche Erzählungen einst den Begriff der „Verschwörungsfantasien“. Sie seien durch einen „paranoiden Stil“ der Welterklärung gekennzeichnet. Ihre Wahnhaftigkeit besteht oft gerade darin, dass es sich um so wohlausgeklügelte Systeme handelt, dass es in ihnen keine Zufälle, keine Widersprüche, keine Ambivalenzen gibt – aber dafür umso dämonischere Individuen und Gruppen, die uns brave Menschen austricksen.

Das widerspricht jeder Erfahrung und erzählt uns mehr über die Anhänger dieser Fantasien als über die Welt, die diese angeblich beschreiben. Die Bösen sind immer die anderen. Wahnvorstellungen nicht unähnlich sind diese Fantasien, denen andere Forscher den Status einer Theorie zugestehen, weil sie einerseits den Anspruch an Belegen an wissenschaftliche Theorien „übererfüllen“, während sie andererseits unterkomplex sind, also mit sehr wenigen Annahmen sehr viel erklären. „Zu schön, um wahr zu sein“, wie Forscher das Problem zusammengefasst haben.

Wer nun meint, Verschwörungstheorien seien bloßer Ausdruck von individueller Verrücktheit oder eines kollektiven Rückfalls in mythisches Denken, verkennt ihre Herkunft als Welterklärungsmodelle in der Tradition aufklärerischen Denkens. Ist es Zufall, dass Verschwörungstheorien in der Zeit der Aufklärung besonders virulent waren? „Sometimes paranoia’s just having all the facts“, meinte William Burroughs.

Der Kant in den Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien halfen, die französischen Volksmassen gegen den König, die amerikanischen Kolonisten gegen die Briten aufzubringen. Im vorrevolutionären Frankreich kursierten Berichte über Hungerverschwörungen, die dem König angelastet wurden. In den amerikanischen Kolonien war man sich sicher, dass sich die Briten gegen die Amerikaner verschworen hatten.

Der Republikanismus, die Leitidee der Zeit, berief sich auf die Tugend als die wichtigste positive Eigenschaft des Menschen, den man damals mit Rückgriff auf Aristoteles als Zoon politikon, als politisches Wesen zu begreifen begann. Doch die Menschen haben auch eine dunkle Seite, weswegen für die aufgeklärten Menschen des 18. Jahrhunderts die Annahme von Verschwörungen hinter den Kulissen des politischen Theaters eine selbstverständliche Vorstellung war. Einen okkultistischen Dreh bekam sie erst gut hundert Jahre später: Die Welt ist nicht so, wie sie scheint.

Erst waren es die Jesuiten, die Elitetruppe der Gegenreformation, denen unterstellt wurde, hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen. Dann drehten konservative Autoren die Perspektive um, und behaupteten, die Freimaurer, Illuminaten und Juden hätten es darauf abgesehen, die gottgegebene Ordnung auf den Kopf zu stellen, indem sie überall Revolutionen anzettelten. Text­ana­ly­sen haben ergeben, dass die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ aus einer antijesuitischen Verschwörungsfantasie abgeschrieben wurden.

Wenn Anhänger solcher Theorien Ihnen heute erklären, die Propaganda der Mainstreammedien könnten Sie für sich behalten, denn man ziehe es vor, „selber zu denken“, dann nehmen diese – trotz aller Resistenz gegenüber Auffassungen, die mit wissenschaftlichen Verfahren begründet werden – letztendlich doch Kant für sich in Anspruch: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Blutschande und Kindsmord?

Als Kant diese Sätze 1784 veröffentlichte, war die kurpfalzbayerische Regierung gerade dabei, die Illuminaten zu verbieten, die noch heute manche Menschen für die wahren Herren der Welt halten, die hinter allem stecken, was uns die Moderne an Unliebsamem so zu bieten hat. Die Illuminaten seien ein „für die Religion und den Staat höchst gefährliches Complott“, meinte damals Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz und von Bayern.

Die Freimaurer, Illuminaten und Juden wollen die gottgegebene Ordnung auf den Kopf stellen

Die Illuminaten waren weit davon entfernt, die Herrschaft in Bayern oder der Welt an sich zu reißen. Richtig ist, dass sie sich gegen den Einfluss der katholischen Kirche auf das Denken der Menschen und die Politik wandten und sich daher nur im Geheimen verständigten, was man ihnen nicht verdenken kann. Es war üble Propaganda, als Karl Theodor über den Chef der Illuminaten, Adam Weishaupt, sagte, dieser sei ein „Bösswicht, Blutschänder, Kindsmörder, Volksverführer“. Weishaupt hatte nach dem Tod seiner Frau seine Schwägerin ehelichen wollen und, als sie schwanger wurde, versucht, das Kind abzutreiben. Das eine galt als Blutschande, das andere als Kindsmord.

Ein Revolutionär war Weishaupt nicht, trotz seines Pseudonyms „Spartacus“. Über seine im Jahr 1776 gegründete geheime Gesellschaft schrieb er: „Wenn sie sich von Königsmord, Empöhrungen der Unterthanen enthält, nur dem Laufe der Natur folgt, ihr die Hand biethet, nichts weiter thut, als auf allen Wegen das Licht zu verbreiten, und den Menschen die grosse Kunst lehret, sich selbst regieren zu können, solte dieses wohl unrecht seyn?“

Aufklärerische Gesellschaften waren damals in Mode, Geheimbünde zählten auch dazu. Adam Weishaupt war ein junger Doktor der Philosophie und Professor der Rechte und des Kirchenrechts an der bayerischen Landesuniversität in Ingolstadt, die Illuminaten waren anfangs ein Zirkel von Studenten. Erst als der Neu-Illuminat Adolph Freiherr von Knigge anfing, Mitglieder zu rekrutieren, gewannen die Illuminaten Einfluss in Politik, Wissenschaft und Kultur. Schiller sympathisierte mit ihnen, Goethe wurde angeblich nur Mitglied, um sich über ihre Umtriebe zu informieren. Der spätere Begründer des modernen bayerischen Staatswesens, Maximilian von Montgelas, war als junger Mann Illuminat gewesen.

Merkels Raute als Erkennungszeichen

Das individuelle Ziel, das die Adepten erreichen sollten, war „die bestmöglichste Ausbildung ihrer gesammten körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Kräfte“. Das politische Ziel der Illuminaten war die aufklärerische Modernisierung des bayerischen Staats, auch wenn Weishaupt darüber spekulierte, ob in einer aufgeklärten Welt der Staat eines Tages vielleicht nicht mehr gebraucht werden würde: „Wie aber, wenn alle Staaten nur Mittel oder Stufen wären, um noch etwas besseres hervorzubringen?“

Seit der Aufdeckung ihres „Complotts“ und ihres Verbots im Jahr 1785 beschäftigen die Illuminaten die Fantasie der Leute. Im Jahr 1798 bezichtigten stramme Puritaner Thomas Jefferson, ein antichristlicher Illuminat zu sein. Heute wird man im Netz darüber aufgeklärt, dass Angela Merkels Raute ein Erkennungszeichen der Illuminaten sei.

Auf gewitzte Weise haben sich Robert Shea und Robert Anton Wilson der Illuminaten angenommen. Ihre ab 1975 erscheinende „Illuminatus!“-Trilogie war eine Satire auf den paranoiden Stil der amerikanischen Kultur. Shea und Wilson hatten für das Leserforum des Playboy gearbeitet, das wie ein Vorläufer des Internets erscheint. Viele verschwörungstheoretische Motive ihrer so gelehrten wie lustigen Bücher hatten Shea und Wilson Leserbriefen an die Playboy-Redaktion entnommen.

Das bringt uns zurück in die Gegenwart. Manche Anhänger von Q glauben, dieser Prophet, der gern aus der Bibel zitiert, arbeite bei einem der vielen amerikanischen Geheimdienste. Andere sind sich sicher, dass Q kein Geringerer als Donald Trump selbst ist. Es gibt aber auch skeptische Stimmen, die sagen, die frühen Texte von Q seien in Wahrheit Parodien auf das irre Geraune der Trumpisten gewesen.

Es gibt viele merkwürdige Dinge in der Welt. Manche fallen merkwürdigerweise nicht einmal Verschwörungstheoretikern auf. Warum hat außer dem Autor dieser Zeilen noch niemand bemerkt, dass sich in der Mitgliederliste des Illuminatenordens der Name eines gewissen „Joh. Coronini“ findet? Zufall?

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