Kampftag auf Abstand

1. Mai in Coronazeiten: Von Protesten im Netz und Demonstranten mit und ohne Maske

Demonstrieren mit Maske: Aktivist*innen am 1. Mai in Berlin Foto: Christoph Soeder/dpa

Von Stefan Hunglinger

Eindeutige Worte von Reiner Hoffmann: „Es muss Schluss sein mit der ­Ökonomisierung und Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge“, fordert der Bundesvorsitzende des DGB am Tag der Arbeit – in einem Onlinestream. Dank Corona hat der DGB, erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1949, physische 1.-Mai-Demos und Kundgebungen abgesagt. Stattdessen gibt es eine ­dreistündige Sendung im Netz mit dem Titel „Solidarisch ist man nicht alleine“. Beiträge liefern die acht Gliedge­werk­schaften,­Bun­des­po­li­ti­ke­r*innen, ­Religionsvertreter und Mu­si­ker*innen.

Allein beim virtuellen Protest blieb es aber nicht. Einzelne Gewerkschaftsgruppen und radikale Linke gingen trotz der eingeschränkten Versammlungsfreiheit auf die Straße. Schon am Mittwochabend gab es Aktionen in den Berliner Stadtteilen Wedding und Friedrichshain. Insgesamt blieb die Walpurgisnacht in diesem Jahr jedoch weitgehend friedlich.

Einig waren sich Gewerk­schafter*innen und Radikale am Arbeiterkampfttag – 1890 wurde er in Deutschland erstmals begangen – darin, dass die Coronakrise den Wert unterbezahlter Arbeit, vor allem in der Pflege und in pädagogischen Berufen, sichtbarer macht. „Doch Applaus reicht nicht aus“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Es brauche eine echte Aufwertung dieser Branchen. Der DGB-Kreisverband Storman berichtete vom Kampf für Tarifverträge in einem Amazon-Lager, der Bezirk Sachsen von der Situation der pendelnden Arbeitnehmer*innen an der geschlossenen deutsch-polnischen Grenze. Die DGB-Jugend nutzte ihre Sendezeit, um von der Bundesregierung zu fordern, die zivile Seenotrettung im Mittelmeer zu ermöglichen.

Solidarität mit Menschen auf der Flucht zeigten auch die radikalen Berliner Linken bei ihren Protesten am Abend zuvor. Im traditionell „roten“ und postmigrantischen Stadtteil Wedding durften 20 Aktivist*innen aus verschiedenen Stadtteilinitiativen ihre Forderung nach einer „sozialen und demokratischen Lösung der Krise“ bekannt machen. Eine geplante Demonstration von 100 Personen wurde trotz eines Schutzkonzepts verboten. „Es ist bezeichnend, wie weit der Staat geht, um Arbeitskampfmaßnahmen zu kassieren“, sagte einer der Aktivist*innen gegenüber der taz, ohne seinen Namen nennen zu wollen. Dass der DGB pauschal Demonstra­tionen abgesagt habe, ist für die Aktivist*innen ein vorschnelles „Kuschen“ vor autoritären Einschränkungen.

An diesem 1. Mai gab es jedoch nicht nur den traditionellen Protest – ganz gleich ob virtuell oder mit Abstand auf den Straßen. Rund um den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz versammelten sich Verschwörungs­theo­retiker*innen, unter ihnen auch bekannte Rechtsextreme, die die Gefährlichkeit des Covid-19-Virus leugnen und vor einer „Corona-Diktatur“ warnen. Es ist die mittlerweile sechste Kundgebung des Vereins Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand, der sich Ende März gegründet hatte.

Weil die Polizei schon frühzeitig die Zugänge zum Platz absperrte, versammelten sich einige Hundert Menschen an den Zugängen, meist ohne Mundschutz und unter Missachtung der Abstandsregeln. Erstmals seit Wochen tauchte Vereinsgründer und Veranstalter Anselm Lenz auf, gegen den die Polizei ein Betretungsverbot für den Bereich ausgesprochen hat. Auch vor Ort sind Vertreter*innen von VVN-BdA bis Linke. Sie wollen den Platz mit langer linker Tradition nicht den Rechten überlassen.

Mitarbeit: Erik Peter