Gemeinsames Kochen per Videochat: Zusammen isst man weniger allein

Eine in Madrid, einer in Buenos Aires, eine in Berlin: Sie verabreden sich zum Kochen – und entwickeln eine neue Art, sich in der Ferne zu begegnen.

Ein dreigteilter Videochat-Screen, zwei Frauen und ein Mann stehen jeweils in ihrer Küche

Berlin, Madrid, Buenos Aires – Luciana, Andrea und Daniel Screenshot: Luciana Ferrando

Die leckerste Tortilla, die ich je gegessen habe, habe ich mir an einem Freitagabend während der Corona-Kontaktsperren selbst gemacht. Die Mojitos dazu sind mir hingegen misslungen. Trotzdem stoßen Andrea, Daniel und ich auf die jüngsten Lockerungen in unseren Ländern an – vor dem Laptopbildschirm, denn jede:r von uns steht in der eigenen Küche. Am Ende des Abends bin ich betrunken, doch ein Vorteil des ständigen Zuhauseseins ist, dass das Bett nah ist.

Ein anderer Vorteil: dass man plötzlich Möglichkeiten entdeckt, die eigentlich schon immer da waren. So fiel uns ein, dass wir zusammen kochen können, und das tun wir nun, auch wenn wir in drei verschiedenen Städten leben. Andrea ist in Madrid, Daniel in Buenos Aires, und ich bin in Berlin.

Jede von uns darf abwechselnd den Küchenchef spielen, wir dürfen die anderen bei unseren eigenen kulinarischen Launen mitziehen und sie herausfordern. Wir nennen unsere Videokochsession „MasterChef“, nach der berühmten britischen Kochshow – ein bisschen wie in unserer Kindheit, als wir gerne so taten, als wären wir im Fernsehen.

Beim ersten Mal sind wir so aufgeregt wie bei einem Date. Ich trage meine Lieblingsohrringe und habe meine Küche geputzt. Alle Zutaten liegen auf dem Küchenbrett bereit. Es gibt: Tortilla. Einfach – und doch nicht so einfach! „Eine authentische Tortilla braucht vor allem eins: Eier“, sagt Andrea, und wir kichern wie Kinder. „Fünf?“ – „Ja, fünf Eier, wenn ihr es ein bisschen wabbelig haben wollt.“

In Buenos Aires scheint noch die Sonne

Andrea ist heute Küchenchefin, aber ihre Tortilla-Geheimtipps kriegt sie von ihrem Mitbewohner. Im Hintergrund schläft auch ihr kleiner Hund. Bei ihr und mir wird es dunkel, bei Daniel scheint die Sonne. In Buenos Aires ist es fünf Stunden früher. Daniel trinkt Mate-Tee und zeigt uns, wie sein vierjähriger Sohn ein Auto aus Karton bastelt.

Als Allererstes kommen die Kartoffeln zum Einsatz, vier große bei fünf Eiern. Sie müssen nicht vorgekocht sein – das sei ein Mythos, sagt Andrea –, aber so dünn wie möglich geschnitten. Am besten schneidet man sie mit dem Kartoffelschäler in Scheiben. Wir geben Olivenöl in die Pfanne, und zwar so viel, dass die Kartoffeln komplett bedeckt sein können. Erst wenn das Öl sehr heiß ist, gibt man die Kartoffeln dazu. Fangen sie dann an, braun zu werden, müssen sie wieder aus der Pfanne.

„Timing!“, sagt Andreas Mitbewohner, und wir geben uns Mühe, den genauen Moment zu erwischen. „Es ist nicht einfach, auf den Bildschirm zu schauen und gleichzeitig alles richtig zu machen“, sage ich, aber die anderen sind zu konzentriert, um zu reagieren.

Die angebratenen Kartoffeln vermengen wir in einer Schüssel mit den Eiern, etwas Salz und Pfeffer und zerquetschen sie dabei ein bisschen. Diese Mischung kommt dann wieder in eine Pfanne, diesmal mit nur wenig Öl. Andrea ist ein Vollprofi und hat eine Doppelpfanne (in Deutschland Omelettpfanne genannt), doch es geht auch mit einer einfachen.

Gemeinsamer Applaus fürs erfolgreiche Tortilla-Wenden

„Und dann?“, fragen wir gespannt. Sind die Eier ein wenig eingedickt, kommt das Highlight des Abends. Wir alle haben schon mal gesehen, wie eine Tortilla mit einer präzisen zackigen Bewegung umgedreht wird. Aber ob wir es wie die Profis schaffen? „O. k., los!“ Andrea deckt ihre Pfanne mit der zweiten Pfanne ab, wir mit einem Teller und zählen zusammen: „Uno, dos … y … tres!“ Alle drei Tortillas überleben die Aktion. Wir ­klatschen.

Noch ein paar Minuten von der anderen Seite anbraten, dann können wir die Tortilla essen. „Sie ist perfekt!“, gratulieren wir einander und werden vor unseren Laptops auf einmal nostalgisch. Der Geschmack katapultiert uns zurück in gemeinsame Kneipenrunden in Madrid, wo die Tortilla zu cañas (kleines Bier im Glas) oder Cidre als Tapa oder als bocadillo (im Brot) serviert wird.

Wir schweigen. Mir wird bewusst, wie privilegiert ich in Berlin bin. In Madrid sind die Regeln viel härter. Andrea, die seit Anfang März in Quarantäne ist, erzählt, dass sie nur vormittags zwischen 8 und 10 Uhr aus dem Haus und sich nicht weiter als einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernen darf. In Argentinien ist es schlimmer: Es gibt nicht einmal überall fließend Wasser, um sich die Hände zu waschen.

Um die Stimmung zu retten, erzähle ich, dass ich am kommenden Morgen den Rest meiner Tortilla frühstücken werde – kalt schmeckt sie wunderbar. In dieser Hinsicht bin ich benachteiligt: Ich wohne alleine und kann meine Tortilla mit niemandem teilen.

„Es ist ein Gefühl der Leere, das ich nicht kannte“

Wenn sein Sohn bei dessen Mutter sei, fühle sich auch Daniel einsam, erzählt er. „Es ist ein Gefühl der Leere, das ich nicht kannte.“ Andrea und ich nicken. Eine Woche ist vergangen. Wir updaten uns corona­mäßig, zeigen einander unseren Mundschutz und fangen wieder an zu kochen. Dieses Mal ist Daniel unser MasterChef.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wir trinken Rotwein, weil der besser zum Gericht passt, das er vorschlug: argentinische Empanadas. Das sind Teigtaschen, sie werden gebacken oder frittiert und tradi­­tio­nell mit Fleisch oder Käse und Zwiebeln oder Maispaste gefüllt. Daniel liebt sie mit Fleisch. Andrea und ich als Vegetarierinnen nutzen Tofu, das wir mit Zwiebeln, roter Paprika, grünen Oliven, Knoblauch und klein geschnittenem gekochten Ei in eine Pfanne geben und mit Cumin, Pfeffer, scharfer Paprika, Salz und Oregano würzen.

Ist die Füllung fertig, geben wir je einen großen Löffel davon in die Mitte der runden Teigstücke, die es in lateinamerikanischen und spanischen Supermärkten fertig zu kaufen gibt. Wir falten den Teig zusammen, sodass er die Form eines halben Mondes hat, und schieben die Empanadas in den Backofen, bis sie von außen braun sind.

Empanadas mit Erinnerungen

Daniel und ich kommen aus Argentinien, und für uns sind Empanadas mit Erinnerungen verbunden: an den Geruch bei Oma an einem Sonntag, an Abendessen mit Freund:innen, an Snacks auf dem Weg zum Kino, an Reisen in den Norden des Landes, wo es die besten Teigtaschen gibt und sogar eine Empanada-Königin. Auch Andrea hat Empanadas schon gekostet, als wir vor 15 Jahren zusammen in Buenos Aires waren.

Wann und wo wir uns das nächste Mal zu dritt treffen können, wissen wir nicht. Wann wir zusammen kochen, schon. Der nächste Termin ist in einer Woche. Ich bin dann MasterChef(in) und fühle mich hin und her gerissen. Denn Andrea und Daniel wollen, dass wir etwas typisch Deutsches kochen. Was kann es sein?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.