Mütter und Familien in der Corona-Krise: Nicht systemrelevant

Wir haben uns auf eine Infrastruktur verlassen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Die wird derzeit mit Füßen getreten.

Keine Idylle: Mutter mit Kindern im Homeoffice Foto: dpa

Letzten Montag stehe ich mit einer befreundeten Kitamutti an der Kreuzung (unsere Kinder haben sich in der Notbetreuung ineinander verliebt und kuscheln den halben Tag, die andere Hälfte kloppen sie sich und schreien sich an – normales Beziehungsverhalten in Corona­zeiten also), da kommt eine dritte Mutter vorbei, deren berufliche Tätigkeit nicht unter das heilige Label „systemrelevant“ fällt.

Ich rufe ihren Namen. „Geht’s gut?“, rutscht mir noch heraus, da sehe ich längst, dass dem nicht so ist. Mit der explosiven Kraft aufgestauter Wut schiebt sie das Kleinkind im Kinderwagen vorbei. Der Fünfjährige radelt neben ihr her. Er schaut unsicher zur Mutter hoch. „Nee, Lea“, schüttelt sie wütend den Kopf, „gar nichts ist gut.“

Sie tut mir so leid. Ich fühle mich überprivilegiert. „Es wird besser“, versuche ich sie zu trösten, hilflos. Sie schüttelt den Kopf. „Nee, wird es nicht.“ Im Weggehen dreht sie sich um und ruft: „Die Politik scheißt auf uns, Lea! Die scheißt auf uns Eltern! Ich kann nicht mehr.“ Zu Hause sehe ich, dass sie mir geschrieben hat: „Entschuldige, hat nichts mit dir zu tun. Ich hab nur grad dieses Muttertagsvideo der Bundesregierung gesehen. Das hat mir den Rest gegeben.“

Ich öffne den Link. Melancholisches Gitarrenzupfen zu infantilistischem Gekrakel. Dazu eine Kinderstimme aus dem Off: „Das bin ich mit Mama.“ „Mama“ steht am Herd und kocht Spaghetti, redet mit dem Computer und lässt das Kind fernsehen. Das Empörende an dem Imagevideo ist nicht nur die Verharmlosung der Stresssituation, unter der vor allem Familien mit kleinen Kindern gerade leiden (Kinder unter fünf Jahren können sich nicht alleine beschäftigen), sondern auch das implizite Eingeständnis, dass Kinder zurzeit vernachlässigt werden (Fast Food, Fernsehen, leise sein), weil Homeoffice und Ganztagskinderbetreuung einfach nicht vereinbar sind, die Mütter dafür aber keinerlei Ausgleich zu erwarten haben. Außer, na ja, ein Muttertagsvideo der Bundesregierung.

Im Gegensatz zur Lufthansa, zu VW oder zur Bundesliga sind für Familien und vor allem Mütter offensichtlich weder Geld noch Geduld übrig.

An dessen Schluss heißt es: „Danke an alle, die selbst in schweren Zeiten für schöne Erinnerungen sorgen.“ Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die am Boden liegen. Als wäre die Bundesregierung das Kind im Film, das auf dem Rücken seiner Mutter reitet, während die Stimme des Kindes aus dem Off erklärt, es helfe Mama beim Yoga­machen, sprich, es torpediere das Einzige, das die Mutter nur für sich selbst tut beziehungsweise für die Erhaltung ihrer körperlichen Jugendlichkeit, denn Mama soll ja bitte nicht fett werden von dem ganzen Spaghettigefresse.

Auf Mütter, die als Reaktion auf die heuchlerische Muttertagspromo der Bundesregierung unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb ihre Mehrarbeit durch die Krise aufgelistet und abgerechnet hatten, ging ein Shitstorm ungeheuren Ausmaßes nieder. Denn im Gegensatz zur Lufthansa, zu VW oder zur Bundesliga sind für Familien und vor allem Mütter offensichtlich weder Geld noch Geduld übrig. „Kondome“, hieß es in den Kommentaren auf Twitter lakonisch – als wären die Eltern selbst schuld an der Misere. Doch das stimmt nicht. Wir hatten uns dafür entschieden, Kinder zu bekommen, weil wir uns darauf verließen, dass eine Infrastruktur vorhanden wäre, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie garantierte. Und diese Vereinbarkeit wird in dem Film des Gesundheitsministeriums mit Füßen getreten.

„Eltern haben keine Lobby“, sagte ein Vater aus der Kita am Mittwoch zu mir. Da fürchteten wir noch, unsere Kinder würden nach neuem Senatsbeschluss jetzt entweder komplett aus der Notbetreuung rausfliegen oder nur noch vier Stunden am Tag bleiben dürfen wie der Fünfjährige der wütenden Mutter letzten Montag. Er darf ab Mitte Juni wieder in die Betreuung. Halbtags. Weil die Arbeit seiner Eltern angeblich nicht so wichtig ist.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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