ein brief an einige leserInnen
: Schlechte Zeiten für die Meinungsvielfalt?

Wir bekommen viel Lob für die Berichterstattung über die Coronakrise – aber auch Kritik. Auch diese Woche wollen wir wieder versuchen, auf einiges zu antworten

:

Nina Apin

leitet das Meinungs­ressort der taz. Sie ist Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, und schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen.

Von Nina Apin

Zwei tazlerInnen, drei Meinungen heißt es ja sonst gern scherzhaft. Bei einigen Reizthemen wie Asyl- oder Nahostpolitik sind es oft auch nur zwei Lager, die sich gegenüberstehen. Die Härte und bisweilen Unversöhnlichkeit, mit der diese Auseinandersetzungen ausgetragen werden, ist nicht immer schön. Doch wie belebend unsere traditionelle Meinungsfreude ist, das merkt man erst, wenn sie fehlt.

Monat zwei der Coronapandemie und in den Redaktionsfluren ist es still. Nicht nur, weil kaum noch KollegInnen im Haus sind und sich die anderen per Videoschalte oder Chat von zu Hause aus zuschalten. Und schon gar nicht, weil irgendwelche Hemmungen oder eine plötzlich erwachte Ehrfurcht vor der Exekutive irgendwem verböte, sich abweichend zu äußern. Es ist vor allem so, dass innerhalb der Reaktion überwiegend Einigkeit besteht: Ja, es war vernünftig, das öffentliche Leben weitgehend lahmzulegen. Ja, es ist richtig, sich als EinzelneR an die Abstands-und Hygieneregeln zu halten. Und nein, niemand stellt grundsätzlich die Gefährlichkeit des Coronavirus infrage, die Kompetenz von VirologInnen oder die Hilfen für Firmen und Selbstständige. Schlechte Zeiten für die Meinungsvielfalt – Merkel erklärt dies, die Regierung einigt sich auf jenes, alle sind irgendwie dafür. Und täglich warnt das Robert-Koch-Institut, das erst eine zu steile Verlaufskurve, dann einen zu hohen R-Faktor und jetzt, nachdem die ersten beiden Szenarien nicht eingetreten sind, eine zweite Welle der Pandemie befürchtet. Hätten wir nicht aber zumindest diese auf die wechselnden Empfehlungen gegründeten „Bocksprünge der Politik“ geißeln sollen, statt sie nur abzubilden, wie ein Leser meinte? Vielleicht – aber dann würden wir so tun, als hätten wir von Anfang an besser gewusst, auf welche Zahl zu achten wäre. Das aber wäre Quatsch – und auch der Politik und der Virologie muss man in dieser Situation eine gewisse Lernkurve zugestehen.

Nein, wir haben nicht die Haare auf den Zähnen verloren – aber es kann sein, dass das Selbstgewisse, der aus der Position des Bescheidwissens heraus formulierte Tonfall aus vielen taz-Texten gewichen ist. Einige finden das befremdlich. Ja, vielleicht schwimmen wir sogar bisweilen mit in einem „Mainstream der Angst“, wie ein Leserbriefschreiber kürzlich diagnostizierte, und interviewen lieber Karl Lauterbach, demzufolge das Virus noch bis 2022 unser Leben bestimmen wird, als Armin Laschet, der schnell zur Normalität zurückkehren möchte. Warum? Weil wir uns, wie derselbe Leser provokativ fragt, neuerdings der Angst mehr verpflichtet fühlen als dem sogenannten gesunden Menschenverstand?

Ja, wir haben in unserer Redaktion durchaus Menschen, die Angst haben – was sich in dieser Situation mit dem gesunden Menschenverstand aber durchaus decken kann. Es gibt KollegInnen, die an Virologen-Podcasts und aktuellen Infiziertenzahlen hängen und daraus täglich die düstersten Prognosen ableiten. Wir haben aber auch KollegInnen, die sich zunehmend darüber ärgern, dass die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt ist, dass im Bundestag nicht über die Grundrente debattiert wird, weil es jetzt angeblich Wichtigeres gibt. Oder die nicht verstehen, warum Corona es rechtfertigt, das ganze Land lahmzulegen, während die noch viel bedrohlichere Klimakatastrophe bislang angeblich ganz schwer zu bekämpfen war.

Auch der Politik und der Virologie muss man in dieser Situation eine gewisse Lernkurve zugestehen

Tobias Schulze aus dem Inland platzte neulich der Kragen, als Merkel pauschal Lockerungen für „zu forsch“ befand. Demonstrationen wieder zulassen? Kinder zurück an die Klettergerüste? Was bitte ist da forsch? Und sowohl Bettina Gaus als auch unser Brüsseler Korrespondent Eric Bonse halten die Maskenpflicht in ihrer deutschen Ausgestaltung für hirnrissig.

Die Angst hat uns also keineswegs übermannt. Der Debattenbeitrag des Philosophen Arnd Pollmann, der Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen äußerte, sprach denn auch vielen aus der Seele. Was wir gerne beherzigen: Den Rat eines Lesers, der von uns fordert, nicht einfach zu schreiben, „was man denkt, dass ein Großteil der Stammleser hören will, sondern dass man seine Leser auch zum Denken anregt und herausfordert“. Die Leserinnen natürlich auch.