Boris Palmer und die Coronakrise: Der Scharfmacher aus Tübingen

Palmer demontiert sich mit seinen menschenverachtenden Äußerungen selbst – und steht nun endgültig im Abseits.

Portrait von Boris Palmer

Provozieren um jeden Preis: der Tübinger Oberbürgermeister Foto: Future Image/imago

KARLSRUHE taz | Erstaunlich, wie Covid-19 die Selbstdemontage von einzelnen Politikern befördert. Am Sonntag konnte man Armin Laschet bei „Anne Will“ dabei zuschauen und jetzt hat sich auch Boris Palmer endgültig für höhere Positionen, etwa als Nachfolger Winfried Kretschmanns, aus dem Rennen geschossen.

Palmer hatte früh Zweifel am Corona-Lockdown geäußert. Auch im Interview mit der taz hatte er zu bedenken gegeben, dass auch der wirtschaftliche Niedergang tausende Armutsopfer fordert. Er schlug vor, Risikogruppen in Quarantäne zu schicken und das öffentliche Leben wieder zu öffnen. Eine nüchterne, vielleicht allzu kühle Sichtweise, die man aber diskutieren kann.

Palmer genügte es aber nicht, einen Beitrag zur Debatte zu leisten. Es geht ihm um die größtmögliche Provokation. Im Privatfernsehen spielte er am Dienstag Junge gegen Alte aus, als er sagte: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären.“

In seinem Zwang zur Provokation erliegt Palmer einmal mehr der Versuchung, vermeintliche Fakten ins Absurde zu überzeichnen und so in Populismus zu verkehren. Das tat er schon oft, etwa in der Flüchtlingskrise, als er öffentlich über die Herkunft von pöbelnden Radfahrern spekulierte. In seinen Beiträgen zur Coronakrise geht er jetzt, anders als der klug abwägende Wolfgang Schäuble, schnoddrig über die Sorgen der Menschen und den vorhandenen Konflikt zwischen den beiden Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und die Würde der Menschen hinweg.

Sensationell genug, zum ersten Mal erkennt Palmer, dass er mit dieser Provokation zu weit gegangen ist. Er entschuldigt sich sogar – das wird ihm allerdings nicht viel nützen.

Denn diesmal haben sich auch die letzten politischen Weggefährten von ihm abgewandt. Vielleicht kann Palmer besser rechnen und Statistiken interpretieren als andere Politiker. Aber dafür mangelt es ihm an zwei anderen Eigenschaften, die Politiker in Krisenzeiten haben oder wenigstens behaupten sollten: Verantwortungsbewusstsein und Empathie.

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Benno Stieber ist seit 2015 Landeskorrespondent der taz in Baden-Württemberg. In Freiburg als Österreicher geboren, lebt er heute als eingefleischter Freiberufler wieder im badischen Landesteil. Er ist Absolvent der "Deutschen Journalistenschule" in München und hat dort auch Geschichte und Politik studiert. Er schrieb unter anderem für die "Financial Times Deutschland", hat einen erfolgreichen Berufsverband gegründet und zwei Bücher geschrieben. Eins über Migranten nach der Sarrazin-Debatte und eins über einen Freizeitunternehmer aus dem Südwesten.

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