Dokumentarfilm „Rettet das Feuer“: Eisbecher mit Blowjob

Jürgen Baldiga hat das schwule Berlin in der HIV-Krise fotografisch dokumentiert. Dokumentarfilmer Jasco Viefhues begibt sich auf seine Spuren.

Der Fotograf Jürgen Baldiga von hinten

Arbeitete gegen das Schweigen: Fotografie von Jürgen Baldiga Foto: Salzgeber

Wie gehen diese Hi-NRG-Beats, die da auf der Tonspur voranpreschen, bloß zusammen mit den Bildern zu Beginn in „Rettet das Feuer“? Wir sehen doch bloß einen schnöden Museumskeller mit grauen Metallregalen voller Ordner und Kisten, die erst mal das Gegenteil von Abenteuer verheißen.

Doch auch wer vorher noch nie vom Fotografen Jürgen Baldiga (1959–1993) gehört hat, wird im Dokumentarfilm „Rettet das Feuer“ von Jasco Viefhues schnell fühlen, dass auch Baldigas Bilder und Worte einen Drive haben, der dem Hi-NRG-Puls in nichts nachsteht.

Baldiga war als Künstler, so könnte man sagen, der große Chronist der HIV-Krise in Berlin, zu deren Hoch- oder besser gesagt Tiefpunkt Mitte der neunziger Jahre jeden Tag zwei Beerdigungen in Berlin auf das Konto von Aids gingen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit: Ja, es stimmt, dass er sich bis zu seinem Freitod 1993 fotografiert hat und von dem befreundeten Fotografen Aron Neubert noch nach der siebten Lungenentzündung und sogar tot hat fotografieren lassen.

Überhaupt hat Baldiga, der so gar nicht akademische Autodidakt, die Fotografie erst 1985 für sich entdeckt, ein Jahr nachdem er positiv auf HIV diagnostiziert worden war. Baldigas eigentlicher Coup ist aber wohl, dass er verstanden hat, dass das Tabu um das Sterben, um die Toten, eigentlich ein Tabu schon um das Leben, das Lieben, die Lust der Queers zuvor war: Männer, die Sex mit Männern haben.

Feiges Schweigenwollen

Deshalb hat Baldiga diesem feigen Schweigenwollen der heteronormierten Mehrheitsgesellschaft seine Bilderwelten, meist in Schwarz-Weiß, mit harten Kontrasten, entgegengestellt: voller Menschen, die sich selbstbewusst als Tunten verstanden und inszenierten, mit Perücken und Modeschmuck aus der Altkleidersammlung und einem Lidschatten und Selbstbewusstsein zum Niederknien.

Auf seiner Beerdigung, so wollte er es, wurde das Parfüm von Liz Taylor versprüht

Baldiga hat somit ein Stück Westberliner Geschichte und Gegenöffentlichkeit eingefroren, das ansonsten dem Vergessen anheimgefallen wäre. Auch den Aktivismus von Act Up, die das Versagen der Regierung in Sachen Aids-Aufklärung geißelten. Gewissermaßen war Baldiga das Berliner Pendant zu angelsächsischen Künstlern wie dem „Blue“-Filmemacher Derek Jarman (den Baldiga ­übrigens fotografierte) oder David ­Wojnarowicz, der sich aus Protest gegen das Schweigen über Aids die Lippen zunähte.

Ein Vierteljahrhundert nach Jürgen Baldigas Tod nun also besucht der Regisseur Jasco Viefhues, Jahrgang 1980, in seinem sehr sehenswerten Langfilmdebüt Menschen, Überlebende, die mit Baldiga damals rum­hingen – nicht bloß weil Baldiga eine coole Socke war, wie man schnell spürt, sondern weil sie ihn liebten, das wird deutlich. Viefhues bemüht sich ganz ­offensichtlich nicht darum, den Lebensweg ­Wikipedia-chronologisch ­nachzuzeichnen oder auch nur die talking heads aus der Szene mit Inserts beim Namen zu nennen.

Viefhues vertraut vielmehr auf die Sprengkraft auch nie zuvor gezeigter Baldiga-Performance-Mitschnitte – und darauf, dass der standesgemäße Tratsch bei Kuchen und Sekt die wahrhaftigeren Anekdoten zutage fördert: dass Baldiga einer war, der sich in seinen letzten Lebensmonaten gern auch mal mehr Morphium als nötig reingepfiffen hat und sich derweil auch Joint, Blowjob und seine geliebten Eisbecher gleichzeitig hat gefallen lassen; dass er eine ganz außergewöhnliche Gabe hatte, die Kamera nicht als hemmendes Hindernis zwischen ihm und den Menschen aufzubauen.

Tumor in Harz

Auf seiner Beerdigung, so wollte er es, wurde das Parfüm von Liz Taylor versprüht. Er hatte einen Witz, dieser Baldiga, und manchmal weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, etwa wenn man im Film das Kaposi-Sarkom sieht, einen für Aids typischen Tumor, der ihm entfernt wurde – und den er dann in Harz gegossen und in einen Schrein gestellt hat. Oder dieses späte Foto, eines der wenigen in Farbe, das ihn mit aufgesteckter roter Clownsnase zeigt, die so gut passt zu den durch die Folgen von Aids rot unterlaufenen Augäpfeln.

„Niemand konnte sagen, was aus unseren Geschichten wird“, hören wir aus dem Off, wie so viele hängen bleibende Sätze aus Baldigas Tagebuch-Kladden. „Mit jeder Zigarette, die wir rauchten, wurden wir einer weniger.“ Und: „Wo sollen die hin, die nicht wissen, wer ihre Verwandten sind?“

Jasco Viefhues gelingt es mit diesem wichtigen, unterhaltsamen, nachdenklichen Film, die Bedeutung der Archive, wie hier im Schwulen Museum in Berlin, für Queers zu betonen – als Ort, wo die Vermächtnisse seelenverwandter Menschen lagern, die deren Blutsverwandten wiederum sehr peinlich waren.

Es sind nicht nur Namen. Das Schwule Museum in Berlin hat da Originalquellen im Keller, die in ihrer Bedeutung vergleichbar sind mit den Aids-Aktivismus-Videobändern, die in der städtischen Bücherei von New York archiviert sind.

Baldiga pafft uns verschmitzt an in der letzten Szene. Der Film erzählt von mutigen Menschen, die glücklich waren, soweit es ging.

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