Unmut gegen Coronamaßnahmen: Schaum vor der Maske

Die Coronabeschränkungen sind nicht immer durchdacht. Aber eine Diktatur ist nicht in Sicht – nur die Vernebelung des „gesunden Menschenverstands“.

ET mit einer Maske vor Mund und Nase - vor einem Kinoeingang

Auch in Zukunft wird man wohl noch Masken tragen müssen Foto: Joel Saget/afp

Der gesunde Menschenverstand (GMV) ist ein Werkzeug, das vergleichsweise gerecht unter den Menschen verteilt ist. Blöderweise ist der GMV aber ein Werkzeug, das sich für Ausnahmesituationen wie die Covid-Pandemie nur begrenzt eignet. Obwohl niemand wirklich wissen konnte, ob es irgendwas bringt, wurde verboten, Freunde, Familie oder Unbekannte zu treffen, in die Schule, in den Park oder auf ein Bier vor die Türe zu gehen, einfach zu machen, worauf man Lust hat.

Nur angesichts der Zahlen und Bilder aus China und Italien sprach einem der GMV ins Gewissen: „Na gut, so was muss ja nicht unbedingt sein. Dann bleib halt zu Haus.“ Nicht unwahrscheinlich, dass der Beweis nie erbracht werden wird, ob das Stillstellen der gesamten Welt wirklich nötig gewesen ist. Es gibt nur viele Indizien, die dafür sprechen.

Dass man in einer superfragilen Situation wie dieser kurz mal Atemnot kriegte oder einem die Tränen kamen, ist völlig normal. Dass Leute, die die DDR oder Schlimmeres erlebt haben, angesichts von Kampfbegriffen wie „Durchseuchung“, „Ausgangssperre“ oder „unsichtbarer Feind“, angesichts der Einschränkungen von Grundrechten und Toilettenpapier- und Hefemangel sich an gruselige Zeiten erinnert fühlten: normal. Dass man sich im Westen an Hollywoodfilme wie „Das siebente Siegel“, „Outbreak“ oder „Contagion“ erinnert fühlte: normal. Dass der GMV jetzt sagt: „Hätte das wirklich sein müssen? Wegen ein paar tausend Toten Millionen Menschen in die Pleite zu schicken?“: normal.

Aber fragen Sie Ihren GMV mal, was denn die Alternative gewesen wäre. Sicher, die überstürzt aufgestellten Ausnahmeregelungen waren so grobschlächtig, dass die Polizei erst mal mit Interpretationsarbeiten beschäftigt war, was den Eindruck verstärkte, hier wisse die eine Hand nicht, wem sie die andere waschen soll.

Wäre aber etwas gewonnen gewesen, wenn die Regierung gesagt hätte: „Wir wissen es im Moment leider auch nicht so ganz genau und brauchen noch ’ne Weile, sorry! Wir melden uns, sobald wir mehr sagen können. Bitte haben Sie Geduld und Verständnis dafür, dass in der Zwischenzeit erst mal ein paar Leute über den Jordan gehen werden, bevor wir rausgefunden haben, was zu tun ist.“

Sehr wahrscheinlich hätte das diejenigen, die sich jetzt „für dumm verkauft“, „verarscht“, „bevormundet“ und von einer Diktatur regiert fühlen, noch viel weniger abgehalten von ihrer abgrundtiefen Verachtung der freien Presse und einer offenen Gesellschaft. Das nämlich würde bedeuten, sich für sein Weltbild aus allen zur Verfügung stehenden Farben aus dem bunten Wasserfarbmalkasten zu bedienen und nicht nur auf die zwei Tuben mit Schwarz und Weiß zu drücken.

Ich finde Maske auch Mist und zweifle an der Wirksamkeit des Stofffetzens. Aber ich schnalle mir lieber etwas Textil vor den Mund, wenn ich dafür selbst entscheiden darf, wen ich wo treffe. Außerdem beruhige ich meinen GMV damit, dass der Mundbeutel mich und andere zumindest vor der zurzeit weit verbreiteten feuchten Aussprache schützt. Die kommt von dem ganzen Schaum vorm Mund, dessen Produktion auf Hochtouren läuft, weil sich gerade alle so furchtbar über alles aufregen müssen.

Dabei wissen wir noch gar nicht wirklich, wer seinen Job, seinen Laden, seinen Hausstand oder seinen Verstand verlieren wird. Was wir aber wissen, ist, dass es weder in der Gegenwart noch in naheliegender Zukunft darum gehen wird, eine Diktatur zu bekämpfen. Die gibt es in diesem Land nicht, und außer Rechtsradikalen hat weit und breit niemand die Absicht, eine solche zu errichten.

Worum es aber heute und morgen noch viel mehr als gestern gehen wird: die Regaleinräumerin mit dem Profifußballer gleichzusetzen, Abwrackprämien statt Kameraleute anzugreifen und so lange keine Ruhe zu geben, bis es Kaufprämien für Fahrräder, kostenlosen Nahverkehr und Managergehälter für Pflegepersonal gibt. Fragen Sie mal Ihren gesunden Menschenverstand, was der davon hält.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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