Global Pop aus Brasilien: Der neue Funk aus den Favelas

In Brasilien ist Brega Funk der Sound der Stunde. Das neue Tropical-Bass-Genre aus der Stadt Recife ist eine Fusion zweier bekannter Stile.

Rasante Schrittfolgen: Tänzer auf einer Brega-Funk-Party in Recife Foto: Vincent Rosenblatt

Bum-tschi-bum-tschick, bum-tschi-bum-tschick: Ein von Bassdrum und Snare gespielter Loop in zwei Takten, der es in sich hat. Wohl kein anderer Rhythmus hat die Clubmusik der letzten dreißig Jahre derartig geprägt wie der sogenannte Dembow.

Ursprünglich war er 1990 vom jamaikanischen Studioduo Steely und Clevie für den gleichnamigen Dancehall-Song von Shabba Ranks eingespielt worden. Dann wurde er in Panama, Puerto Rico und der Dominikanischen Republik aufgegriffen, abgewandelt und in den Nullerjahren zum Grundgerüst des karibischen Reggaeton. Heute wird er von Popgrößen wie Justin Bieber verwendet.

Und zuletzt trat der Dembow schließlich in Brasilien seinen Siegeszug an. Dort wurde er zum Markenzeichen eines neuen Genres aus Recife – des Brega Funk.

Zum Hüftschwung geeignet

Der auf schweren Bässen und dem Dembow-Offbeat beruhende Tropical-Bass-Stil hat sich in kurzer Zeit zum neuen großen Ding in Brasilien entwickelt. Mit 80 bis 90 Beats per minute (bpm) wird der Brega Funk im mittleren Tempo gespielt, was sich ganz wunderbar für expressive Körperbewegungen und zum Hüftschwung eignet.

Dadá Boladão ist der derzeit erfolgreichste Musiker des Genres. Das Leben des erst 26-Jährigen hat sich in nur drei Jahren komplett gewandelt: Lebte er früher in einem baufälligen Häuschen in der Peripherie Recifes, gehört ihm inzwischen ein Apartment im schicken Viertel Boa Viagem ganz nah am Meer.

Zum Einstieg: DJ Daniel Haaksman hat bei Soundcloud einen Brega-Funk-Mix online gestellt, soundcloud.com/daniel-haaksman/brega-funk-mix

„Heute braucht ein Jugendlicher aus einer Favela der Stadt nur noch ein Notebook und ein Handy, um seine Familie zu ernähren“, sagt Boladão – zumindest was ihn betrifft, stimmt diese Aussage. Sein größter Hit „Surtada“ im Remix mit Tati Zaqui und OIK hat mehr als 200 Millionen Clicks bei YouTube. International erfolgreich war dagegen vor allem „Bum Bum Tam Tam“ von MC Fioti. So hat Brega Funk dabei geholfen, die Kultur der Peripherie aus der Marginalisierung zu holen und in den Mainstream zu hieven.

Der zusammengesetzte Begriff Brega Funk deutet an, dass sich der Stil aus verschiedenen Einflüssen speist. Wobei die geografische Lage Recifes im Nordosten Brasiliens eine wichtige Rolle spielt: Aus Belém an der Amazonasmündung, ganz hoch im Norden, kamen der romantisch-kitschige Brega und karibische Rhythmen, aus den Favelas von Rio de Janeiro im Süden der scheppernde Elektro des vom Miami Bass beeinflussten Baile Funk.

Die Mischung aus Funk-Raps und dem Synth-Pop vom Amazonas ergab, zumeist auf dem Gerüst des Dembow-Rhythmus, den Brega Funk.

In der Regel werden die Songs dabei zu Hause am Computer produziert, und die dazugehörigen Videos, wenn kein besseres Equipment zur Verfügung steht, mit einer Handykamera aufgenommen. Mit einem Heimvideo ihres Songs „Envolvimento“ gelang der damals erst 15-jährigen MC Loma und ihren beiden Tänzerinnen zum Karneval 2018 dann auch der erste Brega-Funk-Hit.

Der war so mit Slangbegriffen gespickt, dass MC Loma eigens ein Erklärvideo dazu herausbrachte: Der „schuppige Fisch“, von dem sie rappt, meint so viel wie Bad Guy, im Refrain heißt es dann: „Schuppen sind nur was für Fische.“

Das ist auch eine Replik darauf, dass die männlichen Brega-Funk-MCs in ihren Songs oft davon tönen, was für tolle Hechte sie sind, wenn sie sich nicht über den umwerfenden „bum bum“, also den Po einer Frau auslassen. Immer wieder geht es aber auch darum, wo der Brega Funk herkommt. So rappt MC Nedved in seinem Hit „Tome Baby“: „Sie liebt die Favela“, während eine junge Frau in einem provisorisch eingerichteten Backsteinhäuschen um ihn herum scharwenzelt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Tanzgruppen, die „Passinhos“, sind fester Bestandteil des Brega Funk und dafür verantwortlich, dass fast jedes neue Lied eine eigene Choreografie bekommt. Angesagt ist etwa der „Passinho dos maloka“ mit rasanten Schrittfolgen und schnellen Bewegungen der Hände in Richtung Hüfte. Viele, die früher auf der Straße abgehangen haben, seien mittlerweile Tänzer, sagt Boladã.

Vertreibung aus der Öffentlichkeit

Allerdings gibt es bis heute immer wieder Ärger mit der Polizei, welche die Tänzer*innen weiterhin regelmäßig und manchmal auch mit Gewalt von öffentlichen Plätzen in Recife vertreibt. Es bleibe aber wichtig, raus aus den Favelas in die Öffentlichkeit zu kommen, betont Tänzer Artur von den bekannten Magnatas do Passinho: „Für uns ist es sicherer, diese Orte besetzt zu halten. Hier haben wir mehr Sichtbarkeit, und es gibt weniger Repression.“

Die weltoffene und zugleich auf seine musikalischen Traditionen wie Forró und Maracatú stolze Stadt Recife war schon einmal das Zentrum einer musikalischen Bewegung, als Chico Science und seine Band Nação Zumbí Anfang der 1990er Jahre den Mangue Beat schufen. Der war aber im Wesentlichen getragen von Bürgerkindern, während mit dem Brega Funk nun die Armenviertel der Stadt und ihre Bewohner*innen in den Fokus rücken.

Vorgehalten werden dem Brega Funk häufig seine sexistischen Texte – siehe das Besingen der Frauenhintern. Dadá Boladão zuckt die Achseln und sagt, das sei eben Teil der „Kultur der Peripherie“ und man müsse zudem nicht alles wörtlich nehmen – die Songs erzählten häufig „eine fiktive Geschichte, so wie ein Film“. Und langsam setzen weibliche MCs im Brega Funk auch die Geschlechterfrage auf die Agenda.

Zum Festival „Rec-Beat“ im Februar war etwa Rayssa Dias geladen, deren Lieder von starken Frauen („Foda Demais“) und männlicher Gewalt („Fica na tua“) handeln. „Ich spreche bei meinen Shows am Anfang immer davon, dass ich eine schwarze Frau bin und aus der Peripherie komme. Es ist jetzt der Moment für uns, unsere Existenz zu bekräftigen“, sagt sie.

Dieser Text ist in der Verlagsbeilage taz thema global pop erschienen.

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