Digitalisierungsschub durch Corona: Die Weichen werden gerade gestellt

Vom Schulbesuch bis zum Arzttermin – was geht, läuft plötzlich digital. Nach erstem Improvisieren sollten wir auf datensichere Anwendungen umstellen.

2020, Schicksalsjahr der Digitalisierung Foto: Johanna Walderdorff

BERLIN taz | Die siebenjährige Lotte hat neulich eine Aufführung des Grips-Theaters gesehen. Sie musste nicht mal hinfahren. Sondern blieb einfach zu Hause. Das Grips-Theater kam zu ihr. Nach Hause, auf den Monitor, per Stream.

Nicht nur Kindertheater müssen in der Pandemie neu denken. Opern, Theaterstücke und Ballette werden auf Bildschirmen geschaut, Clubs machen per Stream nächtelang die Wohnzimmerdielen zur Tanzfläche, Konferenzen werden zu Webinaren, Arbeitnehmer:innen kommunizieren mit Kolleg:innen per Messenger, die Psychotherapeutin hält die Sitzungen via Bildschirm ab und der Homöopath bittet zum Chat.

„Es gibt gerade einen riesigen Digitalisierungsschub“, sagt Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des IT-Verbandes Bitkom. Er nennt vier Bereiche: Bildung, Verwaltung, Gesundheitswesen und Wirtschaft. „Schulen beispielsweise machen gerade einen Crashkurs in Sachen Digitalisierung durch.“ Max Mehl von der Free Software Foundation Europe (FSFE) sieht es ähnlich: „Auf allen Ebenen erkennen Entscheider auf einmal die Chancen der Digitalisierung.“

In diesem unerwarteten Digitalisierungsschub werden Standards gesetzt. „Jetzt passieren die Weichenstellungen“, sagt Rena Tangens vom Verein Digitalcourage. Und nicht immer die besten. Es gibt Berichte von Lehrer:innen und Eltern, dass die digitale Betreuung über den Videokonferenz-Dienst Zoom stattfindet, der von Datenschutz nicht so richtig viel hält. Auch bei einem Treffen hochrangiger EU-Vertreter:innen im April nutzte mindestens ein Teilnehmer Zoom. Aber auch Dienste wie Slack oder Whatsapp, Facetime oder Google Hangouts sind, was die Privatsphäre angeht, optimierungsfähig. „Gerade wird vor allem auf schnelle Lösungen gesetzt“, sagt Mehl. Das Problem: Schnell ist dabei häufig das Gegenteil von nachhaltig, nutzerfreundlich, souverän.

Daher wäre jetzt, nach dem ersten hektischen pandemiebedingten Improvisieren, der Moment, das Provisorium durch eine gute, privatsphärefreundliche und offene Technologie zu ersetzen. „Wir haben es jetzt in der Hand, eine gewisse digitale Souveränität in Europa zu schaffen“, sagt Tangens. Sie erinnert daran, wie schwierig es für Behörden ist, an Atemmasken und Schutzkleidung zu kommen – weil sie hierzulande kaum produziert werden.

Nachbessern ist angesagt

„Digitale Souveränität“ – diesen Begriff hört auch Rohleder gerne. Er hoffe, sagt er, dass die Veränderungen des Digitalisierungsschubes bleiben, aber verbessert werden. Also: Dass Vorteile wie der weitgehende Verzicht aufs Reisen beibehalten werden. Doch die Technik, die genutzt wird, sollte konform sein mit der Datenschutzgrundverordnung. Mindestens. Aktuell ist das nicht bei jedem der gehypten Anbieter so klar.

Was also muss passieren, damit alle umsteigen, die jetzt auf Anwendungen von Skype bis Facetime setzen? „Unternehmen sollten selbst darauf kommen, dass, was derzeit fast oder ganz kostenlos ist, es nicht ewig sein wird“, sagt Mehl. Und alternative Diensten wie Jitsi oder BigBlueButton – ein Videodienst und eine Webinar-Software – würden derzeit softwareseitig ordentlich verbessert. Digitalcourage bietet eine Übersicht mit konkreten Alternativen. Die Liste ist nicht abschließend; für alle, die sich fragen, ob eine von ihnen verwendete Software frei ist, hat die FSFE eine Checkliste erstellt.

„Wir müssen darüber nachdenken, welche Infrastruktur wir als Daseinsvorsorge brauchen“, sagt Tangens. Am Ende dieser Überlegungen könnte beispielsweise stehen, dass auch eine Schulcloud dazu gehöre. Also eine Anwendung, in der Lehrer:innen und Schüler:innen sicher Daten austauschen und ablegen können. Dafür müsse dann die öffentliche Hand Gelder bereitstellen.

Das hätte nicht nur den Vorteil, dass sich damit eine Open-Source-Anwendung erstellen ließe, die jede Schule oder jede Kommune für die eigenen Bedürfnisse anpassen kann. Womöglich ließen sich auch Schüler:innen dabei einbinden. Die würden, so Tangens, dabei gleich etwas Wichtiges lernen, das ihnen auch helfen kann, wenn sie irgendwann in der Arbeitswelt mitentscheiden, ob Programm A oder B im Unternehmen, in der Verwaltung oder in der Arztpraxis eingesetzt wird: „Nämlich, dass es gute Software nicht umsonst gibt“.

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