Jeder für sich, Gott für uns alle

Seit März waren wegen der Coronapandemie Gottesdienste verboten. Aber warum ist Gemeinschaft bei Juden, Muslimen und Christen überhaupt so wichtig? Eine Übersicht

Eine Familie in Rotterdam begeht den Iftar, das tägliche Fastenbrechen im Ramadan Foto: Robin Utrecht/afp

Beten mit Abstand und Maske: Jüdische Männer in der Jerusalemer Altstadt im April Foto: ­Ariel ­Schalit/ap

Von Felix Lorber
und Felix Zimmermann

Der Islam

Warum nicht allein? Die fünf täglichen Gebete können Gläubige auch allein verrichten. Wer in muslimisch geprägten Ländern war, wird etwa Taxifahrer gesehen haben, die zur vorgegebenen Gebetszeit einen kleinen Teppich ausbreiten und beten. Gehen Gläubige aber in die Moschee und beten in Gemeinschaft, gilt das als verdienstvoller. In mehreren Hadithen, den Überlieferungen des Propheten Mohammed, steht, dass das Gebet in der Moschee wertvoller sei. Das wichtigste Gebet ist das Freitagsgebet, auch das soll nach Möglichkeit in der Moschee in Gemeinschaft stattfinden.

Wie? Beim Freitagsgebet spricht der Imam der Moschee eine Predigt, anschließend wird gebetet. Sie beginnen im Stehen, knien nieder und beugen sich dann so weit nach vorne, dass die Stirn den Boden berührt.

Wer? Männer und Frauen, aber stets voneinander getrennt.

Wann? Fünfmal am Tag, wobei das Freitagsgebet am wichtigsten ist.

Wo? Im Gebetsraum der Moschee. Für Frauen gibt es in vielen Moscheen einen separaten Gebetsraum.

Das sagt der Religionsgründer: „O Gläubige, wenn ihr am Tage der Versammlung zum Gebet gerufen werdet, so eilt zum Gedächtnis Allahs hin und lasst ab von allen Handelsgeschäften. Dies wird besser für euch sein, wenn ihr es wissen wollt.“ (Koran, Sure 62, 9)

Coronafolgen: Da das Freitagsgebet in der Moschee stattfinden soll, hat die Coronapandemie für Muslime weitreichende Folgen. Besonders in muslimisch geprägten Ländern künden Muezzine die Gebetszeiten per Lautsprecher an, in Ägypten etwa wurde der Ruf wegen der Pandemie geändert: Statt „Kommt zum Gebet“ heißt es jetzt „Betet zu Hause“. Diese Möglichkeit hatte aber bereits der Prophet Mohammed vorgesehen: „Wir haben diesen Gebetsruf nicht neu erfunden. Es gibt Äußerungen des Propheten Mohammed selbst, in denen er den Menschen rät, sich während einer Epidemie nicht von einem Ort zum anderen zu bewegen“, sagt Nazir Ayad von der Islamischen Al-Azhar-Universität Kairo. Schwierig sind die Coronamaßnahmen vor allem während des derzeitigen Ramadans. Die Moscheen sind während des Fastenmonats voller als sonst. Jetzt fällt nicht nur das gemeinsame Beten aus, sondern auch das gemeinschaftliche Fastenbrechen. In Deutschland können ab Mai die Moscheen unter Auflagen wieder öffnen.

Das Judentum

Warum nicht allein? Weil es anders nicht geht. Um einen jüdischen Gemeindegottesdienst zu feiern, benötigt man einen Minjan, also mindestens zehn erwachsene Juden. In orthodoxen Gemeinden zählen nur Männer zum Minjan, in nichtorthodoxen auch Frauen. Der Minjan bildet nach der Halacha – dem jüdischen Gesetz – die Öffentlichkeit (Hebräisch: Tzibur). Der Vorbeter im Gottesdienst wird dementsprechend auch Schaliach Tzibur genannt, Abgesandter der Öffentlichkeit. Die Zahl Zehn basiert auf dem Talmud, der Auslegung des jüdischen Glaubens. Darin wird das Wort Edah für Gemeinschaft an mehreren Stellen im Zusammenhang mit zehn Personen genannt. In manchen Gemeinden gibt es zur Gewährleistung des Quorums ehrenamtlich tätige Minjanmänner.

Wie? Die Gemeinde kommt zusammen, der Vorbeter spricht Gebete, die Anwesenden sprechen sie ebenfalls. Jedes Mitglied der Betergemeinschaft kann die Rolle des Vorbeters übernehmen, oft stellt die Gemeinde dafür jemanden an – einen Kantor oder eine Kantorin. Der Rabbiner oder vereinzelt auch die Rabbinerin predigt, eine Predigt ist allerdings nicht erforderlich für einen Gottesdienst. Zentral ist das Achtzehngebet (Schmone Essre). Das Gebet bestand ursprünglich aus 18, heute 19 Segenssprüchen. Es wird stehend gesprochen und daher auch als „Amida“ (Hebr. „Stehen“) bezeichnet. Vor der Schmone Essre wird im Morgen- und Abendgebet noch das Schma Israel gesprochen, das grundlegende Glaubensbekenntnis der Juden („Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig“, Deut. 6,4). An jedem Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, wird ein neuer Abschnitt aus der Tora gelesen.

Wann? Der wichtigste Gottesdienst findet am Schabbat statt, samstagmorgens in der Synagoge. Wie jeder jüdische Feiertag beginnt der Schabbat bereits am Vorabend. Diesen begehen gläubige Juden beim Schabbatsegen (Kiddusch) und einem festlichen Mahl zu Hause. Auch in nichtreligiösen Familien kommt dazu oft die ganze Familie zusammen. Die Feier des Schabbat endet am Samstagabend mit dem Wunsch für eine gute Woche.

Wer? Die Gemeinde

Wo? In der Synagoge. Der Begriff rührt aus dem altgriechischen Wort für Versammlung, auf Neuhebräisch heißt es Bet Knesset, Haus der Versammlung. Die Synagoge als Ort des gemeinschaftlichen Gottesdienst war das Vorbild für christliche Kirchen und islamische Moscheen. Ein jüdischer Gottesdienst kann auch zu Hause gefeiert werden.

Das sagt der Religionsgründer: Mose, der Prophet, führte die Israeliten in das Gelobte Land. Am Berg Sinai diktierte Gott ihm die Zehn Gebote, darunter das für die Schabbatruhe zentrale 4.: „Gedenke des Schabbattages, ihn zu heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk verrichten. Aber der siebente Tag ist ein Schabbat dem Ewigen, deinem G’tt. Da sollst du keinerlei Werk verrichten – weder du noch dein Sohn oder deine Tochter, noch dein Knecht oder deine Magd, noch dein Vieh, noch der Fremde, der in deinen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat der Ewige den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist. Aber am siebenten Tag hat er geruht. Daher hat der Ewige den Schabbattag gesegnet und ihn geheiligt“ (2. Buch Mose 20, 8–11).

Coronafolgen: Mitte April wurde in Israel die Zahl der Gläubigen, die gemeinsam beten, auf zehn beschränkt – auch an der Klagemauer in Jerusalem. Statistiken zeigten, dass sich ein Viertel der Corona-Erkrankten in Synagogen infiziert hatte. Diese wurden bereits Ende März geschlossen. Besonders stark sind die orthodoxen Gemeinden von der Ausbreitung des Coronavirus betroffen. In Deutschland fanden wochenlang keine Gottesdienste in Synagogen statt, im Zuge der Lockerung der Beschränkungen sollen sie nach und nach wieder gefeiert werden – unter strengen Hygiene- und Schutzmaßnahmen.

Das Christentum

Warum nicht allein? Gemeinsam Gottesdienst zu feiern, ist keine christliche Erfindung. Schon zu Lebzeiten Jesu trafen sich Juden in Synagogen, beteten und sangen gemeinsam. Jesus setzte das fort und rief die Menschen auf, mit ihm Gott zu loben und zu preisen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“ (Matthäus 11,28). Gemeinschaft ist konstituierend für das, was Christen als die Feier von Gottes Gegenwart verstehen. Die ersten christlichen Gemeinden trafen sich in ihren Häusern und feierten dort ihre Gottesdienste, sie sangen „Psalmen, Lobgesänge und geistliche Lieder“ (Eph 5,19), sprachen „Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagungen“ (1Tim 2,1) und feierten das Abendmahl.

Wie? Simpel gesagt: Menschen, die an Gott glauben, kommen zusammen und feiern. Sie nehmen sich Zeit für Gott. Dazu gehört eine Liturgie, die quasi vorgegeben ist. Feste Bestandteile aber sind immer gemeinsames Singen, Beten, Zuhören, Reden, Spenden und meistens auch Essen, wenn das Abendmahl (evangelisch) oder die Kommunion (katholisch) in Erinnerung an das letzte Mahl gefeiert wird, das Jesus vor seinem Kreuzigungstod in Gemeinschaft mit seinen Jüngern – und wohl auch seinen Jüngerinnen – einnahm. Jesus gab es ihnen mit auf dem Weg, sinngemäß: Macht das immer wieder, trefft euch und erinnert an dieses Mahl. Am Schluss, ganz wichtig: der Segen Gottes.

Wann? Traditionell sonntags um zehn. Wohl weil in agrarischen Gesellschaften nach dem Melken und Füttern etwas Zeit für Erbauliches war. Daran sieht man auch, wie lange das schon so geht. Vereinzelt gibt es Versuche, andere Zeiten zu etablieren – später, weil heutzutage sonntags um zehn einfach zu früh ist. Außerdem: Katholiken treffen sich samstags um halb sieben zur Vorabendmesse. Und prinzipiell ist ein Gottesdienst zu jeder Zeit möglich – wenn ein paar Menschen zusammenkommen, die einen feiern wollen.

Wer? Die Gemeinde und ein Pfarrer (bei Katholiken) oder auch eine Pfarrerin (bei Protestanten). Bei den Katholiken ist die Anwesenheit des Pfarrers quasi Pflicht, die Protestanten handhaben es lockerer: Bei ihnen gilt das Priestertum aller Gläubigen, das Martin Luther erdacht hat: Im Prinzip darf jeder einen Gottesdienst feiern. Nur wenn’s ans Abendmahl geht, wird es wieder strenger. Aber das führt hier zu weit.

Wo? Kann an sich überall stattfinden. Im hohen Dom, in der kleinen Kapelle, in der mittelalterlichen Klosterkirche, im Achtziger-Jahre-Gemeindehaus. Wagemutige Protestanten, die etwas ausprobieren wollen, verlegen Gottesdienste auch mal ins Freibad. Da sind sommers einfach mehr Leute.

Das sagt der Religionsgründer: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matthäus 18,20).

Coronafolgen: Allein in Deutschland besuchen im Schnitt jeden Sonntag 2,8 Millionen Christen einen evangelischen oder katholischen Gottesdienst. An hohen Feiertagen wie Ostern verdoppelt sich die Zahl. Um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen, waren auch Kirchen zuletzt geschlossen, Gottesdienste verboten. Im Mai werden sie nun nach und nach wieder erlaubt – unter strengen Auflagen und bei reduzierter Besucherzahl.