Falsche Schafe auf dem Sommerfest

TIERSCHUTZ Rot-Schwarz hatte versprochen, die Zahl der Tierversuche in Berlin zu verringern. Trotzdem erweitert das Max-Delbrück-Centrum in Buch seine Versuchsanlagen. Am Samstag kam es zu Protesten

Liegestühle, um eine Bühne gereiht, wenn die Percussion-Gruppe pausiert, hört man den Kompressor der Hüpfburg rattern. Die ForscherInnen des Max-Delbrück-Centrums (MDC), einem der angesehensten Forschungsinstitute im Land, feiern am Samstag in Buch ihr Sommerfest. Es wird – vom Veranstalter unbeabsichtigt – zur Diskussionsrunde zwischen Forschern und Tierschutzgegnern.

Eine Stunde zuvor und wenige hundert Meter entfernt rufen rund 200 Demonstranten „Tierversuche stopp, hopp, hopp, hopp!“ Sie stehen Spalier am Eingang zum MDC, einige sind als Affe oder Schaf verkleidet. Das Bündnis Tierschutzpolitik Berlin hat Vereine und Parteien aus ganz Deutschland eingeladen, um gegen den Neubau eines Labors zu protestieren: Bis 2016 entstehen hier modernere Ställe für bis zu 64.000 Versuchstiere. Dafür sind 24 Millionen Euro geplant, 90 Prozent zahlt der Bund. Ein gutes Geschäft für Berlin – allerdings hatte sich der rot-schwarze Senat im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, Tierversuche zu reduzieren. Claudia Hämmerling, Tierschutzbeauftragte der Grünenfraktion, fordert deshalb am Samstag einen ernst gemeinten Sinneswandel: „Mich treibt nicht so sehr der konkrete Neubau um, sondern die gesamte Entwicklung der Tierversuche in Deutschland und Berlin.“ In Berlin gab es 2011 insgesamt 375.000 Tierversuche, 100.000 mehr als noch vor acht Jahren. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Grünenfraktion hervor.

„Das ist Wortbruch“, sagt Susanne Eschen vom Berliner Tierschutzverein, „die Alternativforschung wird überhaupt nicht vorangetrieben.“ Sebastian Harnisch, Sprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft, sieht dagegen keinen Widerspruch zur Koalitionsvereinbarung: „Der Neubau beim MDC dient dem Ziel, bessere Forschungsergebnisse mit weniger Tieren zu erreichen.“ Auch Josef Zens, Sprecher vom MDC, will die Aufregung nicht verstehen: „Die Erkenntnisse an Tieren können auf den Menschen übertragen werden. Tierversuche sind daher nach wie vor unverzichtbar.“

Ein kurzfristiges Verbot der Versuche fordert auch Hämmerling nicht. Aber sie vermisst den politischen Willen des Senats. „Wir fordern, dass Ersatzmethoden finanziell gestärkt werden“, sagt die Grüne vor den Demonstranten. Ende August will ihre Fraktion einen Vorschlag ins Abgeordnetenhaus einbringen: Bei jedem Tierversuch sollen 5 Euro in einen Fonds fließen, aus dem tierversuchsfreie Forschung gefördert wird. Die Piraten unterstützen das.

Einigen Demonstranten geht das zu langsam. Als die Redebeiträge vorbei sind, stürmen sie kurzerhand das Sommerfest. Nach Sprechchören vergnügen sich die Demonstranten am Grill, teilweise kommt es zu heftigen Diskussionen. Das MDC kündigt an, das Gespräch später in einem anderen Rahmen suchen zu wollen.

Im Senat gibt man sich gelassen. Laut Sebastian Harnisch, Sprecher der Wirtschaftsverwaltung, hat man mit dem neuen Labor gezeigt, dass man den Tierschutz achte. Und die tierversuchsfreie Forschung werde auch gefördert: In diesem Jahr lobt das Land Berlin zum zweiten Mal einen Alternativpreis zur tierversuchsfreien Forschung aus, dotiert mit 15.000 Euro. Die Ausschreibung läuft bis Oktober. Bewerbungen bislang: keine.

JOHANNES WENDT