Ergebnisse des Koalitionsausschusses: Neue Ungerechtigkeiten

Die Koalition streitet sich wieder – gut. Dennoch regieren Union und SPD in der Krise weiter an den Ärmsten vorbei.

Scholz und Merkel am Kabinettstisch.

Große Einigkeit: Finanzminister Scholz und Kanzlerin Merkel am Kabinettstisch Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die Koalition streitet wieder. Das ist in diesen Tagen eine Nachricht, und zwar eine gute. Die rigiden Maßnahmen der Pandemiebekämpfung wurden im Gleichschritt getroffen. Dort gab es zwar kleine Differenzen zwischen einzelnen Beteiligten, aber im Grunde herrschte große Einigkeit.

Das war bei den Beschlüssen anders, die die Koalition in der Nacht fasste. Die Unterschiede waren klar erkennbar: Die SPD wollte für die Krisenbekämpfung mehr Geld in die Hand nehmen, die Union warnte vor zu viel Freigiebigkeit, weil der Staat handlungsfähig bleiben müsse. Diese Renaissance des Streits ist wichtig. Eine Demokratie braucht Dissens, um lebendig zu bleiben.

Die Beschlüsse der Koalition enthalten Sinnvolles, aber sie lassen auch große Lücken. Die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ist zum Beispiel angemessen, sie nimmt vielen Familien einen Teil ihrer Sorgen. Aber wie bei allen sozialen Verbesserungen steckt der Teufel im Detail. Wenn die einen etwas bekommen, können sich andere mit Recht beschweren. Aufschläge hier provozieren anderswo Ungerechtigkeiten.

Ein gut verdienender BMW-Facharbeiter mit abbezahltem Eigenheim, der in Kurzarbeit geht, bekommt in Zukunft bis zu 80 Prozent seines Nettogehaltes vom Staat – sogar 87 Prozent, wenn er Kinder hat. Eine schlecht verdienende Kellnerin, der gekündigt wurde, bekommt Arbeitslosengeld I. Das liegt nur bei 60 Prozent des Nettogehaltes, bei 67 Prozent mit Kind.

Dann wären da die Beschäftigten im großen Niedriglohnsektor, etwa Leute im Sicherheitsgewerbe, FriseurInnen oder Reinigungskräfte. Wenn sie von ihren Firmen auf Kurzarbeit gesetzt werden, bekommen sie oft weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Die Schwachen auf dem Arbeitsmarkt fallen also in Hartz IV. Ist das gerecht? Adäquate Antworten finden sich in den Beschlüssen nicht.

150 Euro, um beim digitalen Unterricht mitmachen zu können: Einen gebrauchten Laptop mag man dafür bei Ebay bekommen. Aber angesichts der existentiellen Sorgen, die die Krise Hartz IV-BezieherInnen bereitet, ist diese Hilfe ein Witz

Die Gastronomie leidet ohne Zweifel besonders unter der Corona-Krise. Aber die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Speisen, die der Branche helfen soll, könnte wirkungslos verpuffen. Viele Gastronomiebetriebe machen im Moment keinen einzigen Euro Umsatz, entsprechend profitieren sie überhaupt nicht von dem Steuernachlass. Anders gestaltete Stützlinien wären besser gewesen.

Auch die Hilfe für SchülerInnen aus armen Familien greift zu kurz. 150 Euro für ein Gerät, um beim digitalen Unterricht mitmachen zu können: Einen gebrauchten Laptop mag man dafür bei Ebay Kleinanzeigen bekommen. Aber angesichts der existentiellen Sorgen, die die Krise Hartz IV-BezieherInnen bereitet, ist diese Hilfe ein Witz. Für arme Familien ist das Leben gerade noch härter, als es eh schon war.

Der Regelsatz in der Grundsicherung reichte schon vorher kaum zum Leben. Jetzt schließen in ganz Deutschland Tafeln, die kostenlos Lebensmittel verteilen. Das kostenlose Mittagessen für Kinder in Schulen und Kitas fällt weg. Dennoch weigert sich die Koalition, die Regelsätze zumindest befristet zu erhöhen. Union und SPD regieren in der Krise weiter an den Ärmsten vorbei, leider.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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