Hasskriminalität gegen Roma und Sinti: Bis zur versuchten Tötung

Die Zahl antiziganistischer Straftaten ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums gestiegen. Fast alle wurden von rechten Täter:innen verübt.

Eine Rose an einem Wasserbecken.

Eine Rose am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Die Zahl der antiziganistischer Straftaten in Deutschland ist erneut gestiegen. Statistisch ausgewiesen erhöhte sie sich im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2018 um knapp 15 Prozent. Das ergibt sich aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die der taz vorliegt.

Danach werden in der bundesweiten Statistik zu politisch motivierter Kriminalität 2019 insgesamt 78 Taten dem Unterbereich „Antiziganistisch“ zugeordnet. Darunter befinden sich zwei versuchte Tötungen und sechs Körperverletzungen mit insgesamt 18 Verletzten.

Rund 40 Prozent der erfassten Delikte fallen unter den Straftatbestand der Volksverhetzung, rund 26 Prozent unter den der Beleidigung. Zum Vergleich: Für 2018 wurden 68 antiziganistische Straftaten registriert, für 2017 waren es 41.

Wie schon im Vorjahr rechnet das Innenministerium nahezu alle erfassten Straftaten dem Phänomenbereich „rechts“ zu (rund 94 Prozent). Das gilt auch für die beiden versuchten Tötungen. Zwei Delikte konnten die Behörden bislang nicht zuordnen, drei Fälle werden dem – nicht weiter ausdifferenzierten – Phänomenbereich „Ausländische Ideologie“ zugeordnet. Insgesamt konnten 54 Tatverdächtige ermittelt werden. Überdurchschnittlich viele der Taten wurden in Berlin verübt, nämlich rund ein Drittel.

Hohe Dunkelziffer angenommen

Hasskriminalität gegen Rom:nja und Sinti:ze wird erst seit 2017 separat erfasst. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln. So geht der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus, da es vielen Polizeibeamt:innen immer noch an Wissen und ausreichender Sensibilisierung für das Thema Antiziganismus mangele.

Auch die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sieht hier nach wie vor einen hohen „Sensibilisierungsbedarf“, was entsprechende Auswirkungen auf die Statistik habe. „Sinti und Roma gehören zu den meistgehassten Minderheiten in Deutschland und Europa, das macht die Bekämpfung antiziganistischer Straftaten zu einer langfristigen und schwierigen Aufgabe“, sagte Jelpke zur taz. „Und hier zeigt zumindest die Bundespolizei ein sträfliches Desinteresse.“ Denn sie zeige „keinerlei Engagement, die Polizeibeamten stärker zu sensibilisieren“.

Als „beschämend und empörend“ kritisierte Jelpke darüber hinaus, dass in der Antwort des Innenministeriums von „Personen aus fremden Kulturkreisen“ die Rede sei. „Es muss endlich in die Köpfe hinein: Sinti und Roma gehören zu Deutschland und Europa, ohne Wenn und Aber!“, forderte die linke Bundestagsabgeordnete.

Wie virulent das Problem des Antiziganismus in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist, darauf weist auch eine Umfrage hin, die von der Hildegard Lagrenne Stiftung in dieser Woche vorgestellt wurde. Die Stiftung, die sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Rom:nja und Sinti:ze einsetzt, befragte zahlreiche Selbstorganisationen der Minderheit, weitere mit der Thematik beschäftigte Vereine sowie Expert:innen und Aktivist:innen aus dem gesamten Bundesgebiet.

Das ernüchternde Ergebnis: 73 Prozent der mehr als 100 Befragten gaben an, dass nach ihrer Wahrnehmung der Antiziganismus in Deutschland in den vergangenen 10 Jahren zugenommen hat. Dass Rom:nja und Sinti:ze vermehrt Opfer von Kriminalität und Gewalt werden, davon gingen 55 Prozent aus.

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