Historischer Preis-Crash: Die umgedrehte Ölkrise

Nach dem Preis-Crash rückt „Peak Oil“ näher. Retten könnte die Industrie eine alte Ökoforderung: Staatsgeld fürs Nichtstun.

Frackingbaustelle mit Kran und Tanker in den USA.

Immer mit Schulden und anfällig gegen Niedrigpreise: Fracking in Midland, Texas Foto: Jessica Lutz/reuters

BERLIN taz | Die Luft ist schwül und salzig, auf dem Gelände stehen zwischen sumpfigen Wiesen ein paar Tanks und niedrige Häuser. Dicke weiße Pipelines führen in den Boden, ab und zu schafft es ein Alligator durch den Hochsicherheitszaun.

Aber das Eigentliche ist auch in Bryan Mound im US-Bundesstaat Texas unsichtbar: 600 Meter unter dem Boden liegt in 19 Salzkavernen das größte Öllager der USA: Knapp 250 Millionen Fass (je 159 Liter) passen in die größte Lagerstätte der „strategischen Ölreserve“ (SPR), die an vier Standorten 714 Millionen Fass für schlechte Zeiten hortet.

Die Zeiten sind schlecht, und die SPR wird so wichtig wie selten – um den Überfluss aufzufangen. Denn momentan herrscht weltweit die umgedrehte Ölkrise: nicht zu wenig, sondern zu viel Öl. Und plötzlich bekommen die strategischen Reserven, die Theorie von „Peak Oil“, dem Gipfel der Ölförderung und die Idee, den Rohstoff im Boden zu lassen, eine völlig neue Bedeutung: nicht als Mittel zum Klimaschutz, sondern als Rettungsring für die Ölindustrie.

Wer kauft, bekam Geld dazu

Die ist seit Montagnacht in Aufruhr. An der New Yorker Börse wurde das Fass Öl zum ersten Mal in der Geschichte zu einem „negativen Preis“ von 37 Dollar gehandelt – wer es abnahm, bekam noch Geld dazu. Der Grund: Weltweit ist durch den Coronaschock, den Stillstand der Weltwirtschaft und des globalen Verkehrs die Nachfrage nach Öl von 100 auf etwa 70 Millionen Fass pro Tag gesunken.

Vom „schwarzen April der Ölwirtschaft“ spricht die Energieagentur IEA. Und am Dienstag wurden die „Futures“, Verträge für Öllieferungen im Mai, fällig. Da verkauften viele zu jedem Preis.

Eugen Weinberg, Commerzbank

„Die Steinzeit endete nicht wegen zu wenig Steinen, die Ölzeit endet nicht wegen zu wenig Öl“

Der Minuspreis hat Eugen Weinberg schockiert. Der Analyst und Ölexperte der Commerzbank sagt: „Ich hätte so etwas ausgeschlossen. Das entspricht nicht den Gegebenheiten am Markt.“ Der Absturz, der am nächsten Tag schon wieder leicht ins Plus drehte, habe verschiedene Ursachen: „Die Stimmung und die Daten sind natürlich schlecht“, sagt Weinberg. „Aber es gab auch Zwangsliquidierungen von Fonds, die spekuliert haben und verkaufen mussten. Das war ein technischer Ausrutscher.“

Allerdings rutscht gerade die globale Ölindustrie bergab. Wenig Nachfrage trifft auf Überproduktion, die erst im Mai nach einer Einigung zwischen Saudi-Arabien und Russland um 10 Millionen Fass pro Tag gedrosselt werden soll – immer noch viel zu viel, meinen Experten, die Preise würden niedrig bleiben.

Die US-Fracking-Industrie, ohnehin überschuldet und seit Jahren am Rande der Pleite, braucht mindestens 30 Dollar pro Fass, um profitabel zu sein. Fracking-Firmen, die ohnehin schon einen großen Teil ihres Börsenwerts verloren haben, werden pleite gehen, warnen Analysten.

Den Öl-Überschuss in den USA soll nun die strategische Reserve aufnehmen, hat das Energieministerium beschlossen. Aber bereits in etwa einem Monat laufen diese Tanks voll. Wenn bis dahin die Weltwirtschaft nicht wieder so viel Öl verbrennt wie zuvor, wird vor allem die US-Ölindustrie schwer leiden.

Geld dafür geben, kein Öl zu fördern

Um den Kollaps einer zentralen Industrie und hoher Arbeitslosigkeit im Wahlkampf zu vermeiden, denkt die Regierung von US-Präsident Donald Trump offenbar darüber nach, Ölfirmen zu bezahlen, wenn sie kein Öl fördern – ironischerweise eine alte Forderung der Klimaschützer, um Staaten wie Ecuador den Verzicht auf fossile Förderung schmackhaft zu machen.

Aber wird der Ölverbrauch je wieder so hoch wie vor Corona? Oder ist Peak Oil erreicht, weil der Verbrauch sinkt? Commerzbank-Experte Weinberg zitiert einen alten Spruch: „Die Steinzeit endete nicht wegen eines Mangels an Steinen. Auch das Ölzeitalter geht nicht zu Ende, weil das Öl ausgeht.“

Er nimmt an, dass einen „nachhaltigen Knick“ in der Nachfrage geben wird: Weniger Flüge, weniger Kreuzfahrten, weniger Pendelei und mehr Homeoffice.

Ähnlich sieht das Hans-Josef Fell, grüner Energiepolitiker und Chef der kritischen Energy Watch Group. Die Ölnachfrage werde im nächsten Jahr deutlich niedriger liegen, in der Krise werde weniger in den Urlaub geflogen. „Es gibt sicher auch ein anderes Bewusstsein für die Krise und den Drang, sich etwa mit einem E-Mobil vom Ölmarkt unabhängig zu machen“.

Vor allem sieht Fell die fossilen Industrien in die Krise rutschen, weil ihre strukturelle Überschuldung deutlich werde und die Banken ihnen kaum noch mit Kapital helfen: „Die Frage ist, wie lange Ölkonzerne wie Shell, BP oder Exxon aushalten können, ohne mit Staatsgeld gerettet zu werden.“

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