Theater beginnt online neu: Bildschirme als Bühne

Im Bereich der Netzkultur fehlt es Theaterhäusern an Erfahrung. Live-Performances im Netz werden jetzt in „Babyschritten“ geübt.

Schauspielerin Karin Pfammater sitzt in einer Reihe vor leeren Stuhlreihen. Im Hintergrund ist ein Bildschirm.

Alleine mit der Kamera: Schauspielerin Karin Pfammatter im „Dekalog“-Projekt von Christopher Rüping Foto: Schauspielhaus Zürich

Die Theaterhäuser, so viel scheint klar, bleiben bis Sommer geschlossen. Waren zunächst Streamings von Aufzeichnungen das Mittel der Wahl, beginnt jetzt die Arbeit an Live-Netz-Performances.

Da ist etwa Gro Swantje Kohlhof, Schauspielerin bei den Münchener Kammerspielen, die zu wöchentlichen Hogwarts-Expeditionen in ihre Wohnung einlädt und jeweils einen Harry-Potter-Band nacherzählt. Charmant-archaisch übersetzt sie spielerisch Solo-Theater ins You-Tube-Format.

Fürs Schauspiel Leipzig bemüht sich Regisseur Philipp Preuss in „k.“ mit seinen Schau­spie­le­r*innen im Home-office Kafkas „Schloss“ als Vierteiler auf die Bildschirme, die jetzt die Welt bedeuten, zu bringen. Split-Screens mit der Konferenzsoftware Zoom zeigen maskenartige Gesichter, die Kafkas Text sprechen. Dazwischen vorproduzierte Videos von Winterwäldern oder Flipperautomaten, hinter denen die Gesichter verschwinden können. Da fühlt man sich eher an Video-Experimente denn an Theater erinnert.

Am Schauspielhaus Zürich stellt Regisseur Christopher Rüping für sein zehnteiliges Remake-Projekt „Dekalog“ (es lief als Theater 2103 in Frankfurt) zu den zehn Geboten jeweils eine*n Schau­spie­le­r*in auf die leere weiße Bühne und lässt das Publikum mittels Abstimmungstool interaktiv eingreifen. Bereits beim zweiten Versuch funktioniert sogar die Technik. Der Bühnenraum ermöglicht eine eigenständige Kameraarbeit, was die Dynamik deutlich stärkt im Gegensatz zu den Homeoffice-Experimenten.

Diskursausbrüche und Pixelrauschen

Das ganz große digitale Pano­rama will die neue Theaterinitiative Vier.Ruhr aufschließen, also das Theater an der Ruhr, der Ringlokschuppen und die Mülheimer Theatertage. Corona ist der Kickstart für die Mülheimer Initiative, die mit „Dekameron“ zehn Künstler*innen(kollektive) einen digitalen Raum für Live-Theater zur Verfügung stellen. Schließlich handelt auch Giovanni Boccaccios ­„Decamerone“ vom Geschichtenerzählen im Pest-Exil. Der Start ist holprig: 90 Minuten lang stellen sich die Gruppen in kleinen Online-Miniaturen dem Publikum vor, irgendwo zwischen humoristischer Mini-Performance, Diskursausbrüchen oder merkwürdigem Pixelrauschen.

Spricht man mit den Künstlern über die ästhetischen Annäherungen an das neue Medium Internet-Theater, so fällt immer der Begriff der Terra incognita, des Neulands. „Wir machen hier Babyschritte“, sagt Anna Bründl, Koordinatorin von Vier.Ruhr. Ziel wäre, künstlerische Verbindungen zwischen den Beteiligten herzustellen, aber die räumliche und technische Distanz existiert ja nicht nur zwischen Publikum und Theater, sondern auch zwischen den Künst­le­r*in­nen selbst. Selbst Kollektive vereinzeln sich in dieser Situation und nur das WLAN hält sie zusammen.

Alle suchen noch nach der performativen Qualität des neuen Mediums, das ja Raum- und Sehgewohnheiten gleichermaßen transformiert. „Es ist im Grunde ein Lehr- und Lernstück für alle Beteiligten“, ergänzt Matthias Frense, künstlerischer Leiter im Ringlokschuppen. „Wir sind ja im Grunde alles blutige Laien im Bereich der Netzkultur.“

Technische Fragen

Zugleich stellen sich technische Fragen. So erlauben die gängigen Softwares kein Überlagern von Tonspuren, wer sich räuspert, bekommt das Wort. Chorisches Sprechen oder gar der Einsatz von Live-Musik von verschiedenen Orten wird schwierig, zumal Live-Streaming auch kein zeitlich synchrones Medium ist. Immer kommt es zu Verzögerungen und Sprüngen.

Uneinigkeit besteht zudem in der Frage, wie die Kommunikationsmöglichkeiten über Chats und ähnliches in Web-Theater sinnvoll eingebunden werden können. „Während eines Theaterabends erzählt mir mein Sitznachbar ja auch nicht, was es zu Mittag gab“, findet Preuss, und auch Rüping, der zwar klar auf Interaktion setzt, hat beim zweiten Dekalog-Abend den Chat wieder abgeschaltet.

Aktuell gilt für alle die achte der zehn Thesen, die Rüping seinem „Dekalog“ vorangestellt hat: „Wir gehen davon aus, dass es keine Profis mehr gibt, nur noch Anfängerinnen und Anfänger, sowohl auf Publikums- als auch auf Produzierendenseite.“ Oder wie Bundeskanzlerin Merkel es einst formulierte: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“

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