Länder machen sich schon mal locker

Noch vor der Telefonkonferenz mit dem Kanzleramt verkünden MinisterpräsidentInnen eigene Corona-Lockerungen. Der Chef des Robert-Koch-Instituts sieht das skeptisch

Restaurant­küche in Rosenheim (Bayern): Bald wieder im Vollbetrieb? Foto: Kevin Voigt/Imago

Von Malte Kreutzfeldt undAnja Maier

Wenn am Mittwochvormittag die Telefonkonferenz der MinisterpräsidentInnen mit dem Kanzleramt freigeschaltet wird, dürfte vermutlich nur eine Person in der Leitung sein, der es nicht um ihr politisches Fortkommen zu tun ist. Ihr Name: Angela Merkel. Die Kanzlerin hat schon vor anderthalb Jahren klargestellt, nicht erneut das Amt der Regierungschefin anzustreben.

Bei ihren GesprächspartnerInnen sieht das überwiegend anders aus – entsprechend fordernd ist der Ton gegenüber der Bundesregierung. Und entsprechend eilig scheint es nun, erhöhte Aktivitätsmeldungen in den politischen Raum zu senden. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet möchte gern Kanzlerkandidat der Union werden; Bayerns Markus Söder ist ihm ein nicht erklärter Konkurrent. Der Grüne Winfried Kretschmann will 2021 erneut Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden. Ebenfalls im kommenden Jahr werden in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin neue Landesregierungen gewählt. Da heißt es für die Amtsinhaber Flagge zeigen.

Angela Merkel wird also Mühe haben, die MinisterpräsidentInnen zu, wenn schon nicht gemeinsamem, so doch zumindest abgestimmtem Handeln zu bewegen. Doch danach sieht es nicht aus.

Am Dienstag, einen Tag vor der Telefonkonferenz, hat zum Beispiel das bayerische Kabinett die Öffnung der Hotels ab Ende Mai beschlossen. Die Ausgangsbeschränkungen werden aufgehoben, auch große Geschäfte dürfen wieder öffnen.

Tags zuvor hatte Merkels Sprecher noch in der laufenden Regierungspressekonferenz erfahren, dass Niedersachsen ab 11. Mai die Corona-Beschränkungen in der Gastronomie lockern will. Obwohl die einzelnen Landesregierungen unübersehbar gerade machen, was sie wollen, spulte Merkels Sprecher die geplante Tagesordnung ab. Demzufolge sollen an diesem Mittwoch „die gemeinsamen Leitlinien für die sehr großen Lebensbereiche Schule, Kita und Sport beraten werden. Das steht auf der Agenda“, so Steffen Seibert.

Als sei eben diese Agenda zweitrangig, hat kurz nach der Pressekonferenz Mecklenburg-Vorpommern für Ende Mai die Öffnung von Hotels angekündigt. Auch Rheinland-Pfalz’Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fordert „Klarheit“ für GastronomInnen. Von der abzustimmenden „Agenda“ der Kanzlerin – also Schule, Kita und Sport – ist wenig zu hören. Markus Söder (CSU) erklärt am Dienstag schon mal, dass bis zu den Pfingstferien die Hälfte aller bayerischen Kinder wieder in die Kitas gehen können. Nach Pfingsten sollen auch die anderen Kinder wieder betreut werden.

Zu den Risiken für die Bevölkerung durch einzelne Lockerungen wollte sich Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, am Dienstag nicht äußern. „Wenn wir lockern, steigt natürlich die Chance, dass es wieder Infektionen gibt“, sagte er. Er betonte, dass positive Zahlen nicht bedeuten, dass die Coronagefahr demnächst vorbei sei. Er gehe davon aus, „dass es mit großer Sicherheit eine zweite Welle gibt“.

Positive Zahlen bedeuten nicht, dass die Gefahr vorbei ist, mahnt Lothar Wieler vom RKI

Tatsächlich geben die momentanen Zahlen zunächst einmal Anlass zur Hoffnung. Nicht nur am Wochenende wurden erstmals weniger als 1.000 neue registrierte Fälle pro Tag gemeldet, auch am Dienstag blieb dieser Wert dreistellig. Im Schnitt der letzten sieben Tage liegt die Zahl der pro Tag festgestellten Neuinfektionen jetzt bei unter 1.100. Vor zwei Wochen lag diese Zahl noch bei rund 2.600, der Höchstwert vor gut vier Wochen bei 5.600 Personen.

Die Reproduktionszahl, die angibt, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt, lag zuletzt bei 0,71. Anders als bislang zeigen neuere Schätzungen des Instituts, dass dieser wichtige Indikator seit 4 Wochen durchgängig unterhalb der entscheidenden Schwelle von 1 liegt. Das bedeutet, dass die Zahl der Infizierten permanent abgenommen hat.

Auch die Zahl der täglich gemeldeten Corona-Todesfälle ist seit Mitte April rückläufig. Im Mittel der letzten 7 Tage liegt sie jetzt bei 131; vor zwei Wochen lag dieser Wert bei 233. Auch die Zahl der Covid-19-PatientInnen auf Intensivstationen ist zurückgegangen: von 2.900 vor zwei Wochen auf zuletzt 1.950.