Erinnerungen an die Hoffnungslosigkeit

Ein Haus, das viel Leid gesehen hat: Eine Comicdoku erzählt die Geschichte der einstigen psychiatrischen Klinik Kloster Blankenburg bei Oldenburg – bis zu deren Auflösung

Viel Stoff für wenige Seiten: Gerhard Mauchs Comicdoku „Zurück ins Leben“ ist vollgequetscht mit Zeichnungen und Text Foto: Abb.: Gerhard Mauch

Von Teresa Wolny

„Zurück ins Leben“ – so heißt ein neuer Comic über die Schließung der langzeitpsy­chiatrischen Klinik Kloster Blankenburg am Stadtrand von Oldenburg vor mehr als 30 Jahren. Ein komplexes Thema, das der Zeichner Gischbl – bürgerlich: Gerhard Mauch – als „Comicdoku“ aufgreift. Dicht und kurz ist der Band, mit viel Text, der sich in die Sprechblasen quetscht, weil zwanzig Seiten für dieses Thema nicht reichen.

Heute ist das Kloster Blankenburg eine Unterkunft für Geflüchtete. Angesichts der Geschichte dieses Ortes wirkt das zynisch. Denn könnten dessen Mauern sprechen, würden sie eine jahrhundertealte Geschichte von Menschen erzählen, die der Gesellschaft nicht geheuer waren und die man lieber hinter verschlossenen Türen wusste.

Denn der Klosterbetrieb endete schon im 16. Jahrhundert. Danach hat dieser Ort vor allem Krankheit gesehen: Pest, Tuberkulose und psychische Erkrankungen, in Zeiten, in denen man die dort Eingesperrten mit Eisbädern und Schlimmerem traktierte: Blankenburgs Mauern sind das Elend gewohnt.

Auch während des Nationalsozialismus wurde dort im Rahmen des Euthanasieprogramms gezielt entmenschlicht, gequält und ermordet. Ab 1956 war in Blankenburg die Langzeitpsychiatrie des damaligen Zentralkrankenhauses Bremen-Ost untergebracht – „Gefangen in der Hoffnungslosigkeit des Seins“, heißt es im Comic. Mauch zeichnet Fixierungen, Zwangsernährung und die monotone Beschäftigungstherapie, über die ehemalige Blankenburger:innen später berichteten.

Nach dem „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ in den 1970er-Jahren, der so genannten Psychiatrie-Enquete, in der von menschenunwürdigen Zuständen in deutschen Psychiatrien berichtet wurde, sollte auch in Deutschland damit begonnen werden, die Psychiatrie zu reformieren, um das Leben psychisch kranker Menschen zu verbessern.

Kontroverse Diskussionen

Ende der 1970er-Jahre beschloss der Bremer Senat schließlich eine Auflösung der Langzeitpsychiatrie in Blankenburg, die Stadt kooperierte dabei mit Trägern der Behindertenhilfe. Damals galt dies als bundesweit einzigartiges Modellprojekt und als Paradebeispiel des Deinstitutionalisierens.

In Blankenburg wurde 1981 eine Enthospitalisierungsstation eingerichtet, 1988 verließen die letzten Patient:innen die Einrichtung. Für die Auflösung wurden in Bremen verschiedene sozialpsychiatrische Einrichtungen und ambulante Dienste genutzt und neue aufgebaut, unter anderem entstanden die Blaue Karawane und das Blaumeier-Atelier.

Selbstbestimmtheit, Normalität, Krankheit – beim Thema Psychiatrie tun sich Grenzen auf, die spätestens mit dem Aufkommen der Antipsychia­trie-Bewegung seit den 1950er-Jahren kontrovers diskutiert werden. Was ist normal, was nicht, was muss behandelt werden und wie? Die Antipsychiatrie zweifelt grundsätzlich an der Sinnhaftigkeit dieser Einrichtungen. Berühmtester Bezugspunkt ist hier wohl Michel Foucault mit seinem Buch „Wahnsinn und Gesellschaft“.

Für den war im Comic kein Platz mehr, stattdessen bekommen ebenfalls kontrovers diskutierte Personen wie Nina Hagen und Günter Wallraff eine Stimme und fordern Selbsthilfeeinrichtungen statt psychiatrische Versorgung.

Bilder des Leidens: Mauch zeichnet, was Psychiatrieerfahrene ihm erzählt haben Foto: Abb.: Gerhard Mauch

Kontrovers ist auch die Entstehungsgeschichte des Comics (taz berichtete). Konflikte gab es wegen unterschiedlicher Vorstellungen in der Darstellung der Ereignisse, der zunächst kooperierende Verein Expa – ein Verein von Betroffenen mit Psychia­trieerfahrung und Angehörigen – zog seine Unterstützung zurück. Nun fördern unter anderem die Naturfreunde in Berlin die Arbeit.

Plädoyer für Antipsychiatrie

Was als vor Informationen strotzende Dokumentation beginnt, endet als Antipsychiatrie-Plädoyer. Ob der fiktive Mallorca-Urlaub der Ex-Blankenburger:innen im Epilog in die Erzählung passt und ob man 20 Jahre Psychiatrie tatsächlich so zack vergessen kann, „als hätte es Blankenburg nie gegeben“ – an dieser Interpretation mag man zweifeln.

Aber 32 Jahre nach der Schließung sieht es in der Zeit heimischer Isolation fast nach einer Erinnerungsoffensive aus. Und das Erinnern an Blankenburg entpuppt sich als Erinnern an eine ganz andere Form der Isolation, gegen die nur Solidarität half: Wie das Leben der Menschen aus Blankenburg weiterging, wurde ab Februar in einer Fotoausstellung im Klinikum Bremen-Ost gezeigt. Die Ausstellung ist bis Ende Juni verlängert worden – bleibt aber bis auf Weiteres geschlossen.

Comicdoku „Zurück ins Leben“: für 4,70 Euro direkt bestellbar beim Künstler unter portraitkarikaturen-gischbl.de

Ausstellung „Gesichter und Geschichten“ mit Fotoporträts, Filmen, Bildern und Texten aus 30 Jahren Psychiatriereform: bis 28. 6. (aber bis auf Weiteres geschlossen), Kulturambulanz im Klinikum Bremen-Ost