Gestrandete Backpacker in Australien: Down Under auf dem Tiefpunkt

Rucksackreisende aus aller Welt waren in Australien bisher wichtige Hilfskräfte in der Landwirtschaft. Nun werden sie in der Coronakrise gemieden.

Drei Surfer an Sydneys berühmtem Bondi Beach nach dessen Wiedereröffnung Ende April Foto: Loren Elliott/Reuters

SYDNEY taz | Party am Bondi Beach: heiße Musik, verschwitzte Körper, Sprachen aus aller Welt, Flirts und Gelächter – und viel Alkohol. Kaum ein Ort in Australien lockt mehr junge Rucksackreisende an als Sydneys bekanntester Strand.

Die Feierei Mitte März aber war illegal – die Behörden hatten Menschenansammlungen wegen Covid-19 verboten. Viele Backpacker kümmerte das wenig. Zu Hunderten sonnten sie sich am Strand, zu Dutzenden versammelten sie sich auf Dachterrassen zum Feiern. Und steckten sich gegenseitig mit dem Virus an. Bis die Polizei einschritt.

Solches Verhalten war einer der Gründe, weshalb der Bondi Beach und andere Strände wochenlang geschlossen blieben, für Gäste wie für Anwohner. Bondi Beach ist auch eine der Ursachen für die Ablehnung, die vielen Backpackern entgegenschlägt, die sich noch auf dem Kontinent befinden.

Wie Jutta Wagner*. Die 20-jährige Deutsche ist seit letztem August in Australien. Nachdem sie ihren Caféjob wegen Corona verloren hat, sitzt sie in der zen­tralaustralischen Stadt Alice Springs fest. Ohne Job, ohne Geld. Sie erzählt von der Antipathie, die ihr entgegenschlug, als sie auf dem Arbeitsamt um Hilfe bitten wollte: „Man wird aufgefordert, nach Hause zu gehen. ‚Australia First.‘“

Plötzlich Ängste

Wagner kam wie Tausende Backpacker mit dem sogenannten Working-Holiday-Visum ins Land. Es erlaubt jungen Menschen, bis zu drei Jahre zu arbeiten – je nach Herkunft. Die meisten Länder Europas haben ein entsprechendes Abkommen mit Canberra.

Die Ausländer arbeiten oft in Jobs, die Australier nicht gern selbst machen, etwa als Erntehelfer in Obstplantagen oder als Arbeiterinnen in landwirtschaftlichen Betrieben. So sind Backpacker in den letzten Jahren vor allem auf dem Land zu wichtigen Arbeitskräften geworden.

Die Aktion „Adopt a Backpacker“ versucht, Touristen mit Unterkünften zu helfen

Doch mit der Pandemie kam für die meisten Hilfskräfte die Kündigung – und die Aufforderung zu verschwinden: Die Behörden einzelner Dörfer und Kleinstädte wollten Backpacker und andere „Fremde“ gar verbannen oder ihnen die Durchreise verbieten.

Plötzlich gibt es sogar Übergriffe

Die Angst, junge Touristen könnten das Coronavirus im Land verbreiten, hat sogar schon zu Übergriffen geführt. Eine Gruppe von Rucksackreisenden im Bundesstaat Südaustralien klagte im Fernsehsender ABC, Bewohner hätten sie mit Steinen beworfen und auf den Mülleimer ihrer Herberge „Geht nach Hause“ geschmiert.

Der Brite Roan Hodgson sagte, seine Gruppe sei diskriminiert worden: „Der einzige Ort, an dem wir uns aufhalten können, der nicht in unseren Zimmern ist, ist der Balkon.“ Er und seine Kumpel hätten schon Monate in diesem Dorf gearbeitet.

Laut Derry Geber, der Herbergen in den südaustralischen Weinregionen Barossa Valley und McLaren Vale besitzt, hätten Gemeinden „Angst“ vor Rucksacktouristen bekommen. Die Abneigung gegenüber Ausländern sei gewachsen, seit Covid-19-Fälle im Barossa-Tal mit zwei Reisegruppen aus den USA und der Schweiz in Verbindung gebracht worden war.

Hilfsaktion „Adopt a Backpacker“

Doch nicht alle Australier sehen die jungen Touristen negativ. So setzt sich die Facebook-Aktion „Adopt a Backpacker“ dafür ein, jungen Touristen eine Unterkunft anzubieten. Tausende seien gestrandet, weil sie keinen Heimflug mehr finden konnten und sogar einige inneraustralische Grenzen geschlossen seien.

Übergriffe werden von Politikern scharf verurteilt. Der südaustralische Minister Tim Wheatstone nannte „rassistische Verunglimpfung oder Beschimpfungen gegenüber Rucksacktouristen oder anderen Personen völlig inakzeptabel“. Stimmen in der Tourismusindustrie fürchten, das Ansehen der Destination Australien könnte langfristig leiden. Denn Rucksacktouristen sind nicht nur willkommene Arbeitskräfte, sie geben meist auch den Großteil des Gehalts wieder im Land aus für Reisen und Unterkünfte.

Doch hat auch die Antipathie wirtschaftliche Gründe. Die jungen Menschen sind Konkurrenten für Hunderttausende Australier geworden, die wegen Corona ihre Arbeit verloren. Im Gegensatz zu vielen Entlassenen werden bestimmte Teilzeitarbeitskräfte wie die Deutsche Wagner aber nicht vom Staat unterstützt – obwohl sie auch Steuern zahlen. Der wirtschaftlich stark von Backpackern abhängige Bundesstaat Tasmanien hat die Situation erkannt und bietet Nothilfe an. In anderen Regionen droht jungen Besuchern die Armut.

Weshalb also nicht einfach den Rucksack packen und heimfliegen? Für Wagner ist das nicht so einfach: „Ich hatte viel zu wenig Geld für einen Flug. Auch will ich nicht meine Eltern belasten. Die sind selbst in Not.“ Deshalb wollte sie auch nicht das Angebot der deutschen Regierung für einen Rückflug annehmen, den sie hätte selbst bezahlen müssen.

Doch Wagner und viele andere Backpacker harren auch deshalb aus, weil für sie das Erlebnis Aus­tralien ein lebenslanger Traum ist. Auch wenn er gerade eher einem Albtraum gleicht.

*Der Name der Protagonistin wurde auf ihren Wunsch anonymisiert. Er liegt der Redaktion vor.

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