Anklage gegen Terroristen von Halle: „Wir müssen Lehren ziehen“

Nach der Anklage zum Anschlag in Halle zeigt sich die jüdische Gemeinde erleichtert. Der Gerichtsprozess könne helfen, Antisemitismus zu bekämpfen.

Blumen vor der Eingangstür zur Synagoge in Halle

Diese Tür rettete viele Menschenleben: Eingang zur Synagoge in Halle nach dem Attentat Foto: Sebastian Willnow/dpa

BERLIN taz | Max Privorozki hat dieser Tage viel zu tun. Am Dienstag begeht seine jüdische Gemeinde in Halle das Gedenken an die Schoa-Opfer. Diesmal wegen der Corona-Pandemie virtuell, mit Livestreaming und Videobotschaften. Privorozki, der Gemeindevorsteher, organisiert die Vorbereitung. Nun aber beschäftigt ihn ein weiteres Ereignis, denn die Bundesanwaltschaft hat Anklage im Fall des versuchten Attentats auf Privorozkis Gemeinde erhoben.

Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Stephan B. versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen – am jüdischen Feiertag Jom Kippur. Es hätte ein Massaker werden können. Der 28-Jährige scheiterte aber an der verschlossenen Synagogentür, daraufhin erschoss er eine Passantin und später einen Mann in einem Döner-Imbiss, den er irrtümlich für einen Migranten hielt. Neun weitere Menschen verletzte Stephan B. teils schwer, bevor die Polizei ihn schließlich verhaftete.

Max Privorozki hatte den Angriff im Innern der Synagoge erlebt, über eine Videokamera konnten die Gläubigen den Täter vor der Tür beobachten. Die Anklage gegen den Angreifer nennt Privorozki nun einen wichtigen Schritt. „Es ist wichtig zu erfahren, wie dieser Mann zu einem Attentäter werden konnte“, sagt Privorozki. „Wie konnte er sich so entwickeln, dass er zwei Menschen umbringt, einfach so, und noch viele weitere umbringen wollte? Daraus müssen wir Lehren ziehen.“

Ein Sprecher des Oberlandesgerichts Naumburg bestätigte der taz die Anklageerhebung der Bundesanwaltschaft. Die Behörde wirft Stephan B. nun zweifachen Mord und mehrfachen versuchten Mord vor. Neben den neun angeschossenen Personen waren zum Zeitpunkt des Angriffs damals 51 Gläubige in der Synagoge. Stephan B. habe aus einer „rechtsextremistischen und antisemitischen Gesinnung“ heraus gehandelt, so die Bundesanwaltschaft.

Offener Antisemitismus

Die Tat hatte einen stundenlangen Ausnahmezustand in Halle ausgelöst – und bundesweites Entsetzen. Stephan B. hatte seine Tat live ins Internet übertragen und dort auch eine Dokumentensammlung veröffentlicht. Darin leugnet er den Holocaust, wettert gegen den Feminismus und eine angebliche Massenimmigration und nennt „den Juden“ als Grund aller Probleme. Laut Ermittlern hatte sich Stephan B. allein radikalisiert, in einer rechtsextremen Online-Szene und auf anonymen Imageboards. Kontakte zu organisierten Neonazi-Gruppen soll der Arbeitslose nicht gehabt haben, der bei seiner Mutter in einem Dorf in Sachsen-Anhalt lebte.

Seine Tat gestand Stephan B. freimütig den Ermittlern. Durch das Tatvideo gibt es ohnehin nichts abzustreiten. Schon während der Tat beklagte er in der Liveübertragung, dass der Synagogen-Angriff misslang und er nicht noch mehr Menschen töten konnte. Stephan B. erklärte auch, dass er ursprünglich eine Moschee oder einen linken Treffpunkt habe stürmen wollen. Dann aber habe er die Synagoge gewählt, weil nur so der Kampf der „weißen Männer“ zu gewinnen sei.

Als sein Vorbild sah Stephan B. den Attentäter des Terroranschlags im neuseeländischen Christchurch, der im März 2019 dort zwei Moscheen angriff, 51 Menschen erschoss und seine Tat ebenfalls ins Internet übertrug. Stephan B. wollte dieses Vorgehen kopieren. Seine Tatwaffen – mehrere Gewehre und Sprengsätze – hatte er über Monate selbst zusammengebaut, teils mit Hilfe eines 3D-Druckers.

Über das Halle-Attentat soll nun im Justizzentrum Magdeburg verhandelt werden. Max Privorozki und andere Gemeindemitglieder wollen an dem Prozess als Nebenkläger teilnehmen. Es gehe hier um einen „Musterprozess“, sagt der Gemeindevorsteher. „Weil es viele Leute gibt, die gerade weltweit mit diesem Hass herumlaufen. Mit dem Prozess können wir vielleicht lernen, wo der Anfang dieses Hasses liegt, um ihn zu heilen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.