Die Wahrheit: Ich schau dir in die Maskenaugen!

Vermummung auf Ostwestfälisch: Wie sieht das denn aus mit den Dingern vorm Gesicht? Werden jetzt alle zum Masked Singer.

Endlich! In Zeiten der Maskenpflicht kann ich nun endlich selber den legendären Humphrey-Bo­­gart-­Satz sagen: „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“. Die älteren werden sich erinnern: „Casablanca“. Humphrey Bogart als Rick und Ingrid Bergman als Ilsa. Eine wunderbare Liebe. Am Ende ein großer Verzicht. Aber eine falsche Übersetzung durch die Synchronisation.

Was wir in Deutschland für eine der schönsten Liebeserklärungen der Welt halten, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein Trinkspruch. Im Original sagt Rick zu Ilsa: „Here’s looking at you, kid.“ Rick sagt damit einfach: „Prost“ oder „Hau wech!“. Und das insgesamt viermal im ganzen Werk, denn auch insgesamt geht es in diesem großartigen Antikriegsfilm immer wieder ums Trinken.

Rick ist erst am Schluss, nachdem er seine Bar hat schließen und verkaufen müssen, zum ersten Mal im ganzen Film nüchtern. Und steht auch dazu. Am Anfang wird er nach seiner Natio­nalität gefragt, und er antwortet: „Trinker“. Am Ende wirft Kapitän Renault, mit dem er auf dem Flughafen „am Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ steht, ironisch eine Flasche Vichy-Wasser in den Mülleimer und beendet damit seine Arbeit für das gleichnamige Regime.

So nah wie Rick seiner Ilsa im Film dürfen wir einander zurzeit nicht kommen. Uns bleibt nur distanziertes Zuprosten. Meine Eltern, das beinah dienstälteste Liebespaar, das ich kenne, hatten gerade 62. Hochzeitstag. Die zwei sind Ostwestfalen, daher geht es ihnen blendend, denn die zwei kommen sehr gut ohne Nähe aus, egal zu wem. Als ich ihnen jetzt zwei Mundschutzmasken schenkte, sagte meine Mutter nur: „Ick sette de Dinger over nich up! Wie süht datt denn ut? Un mett düssen Gummi gaht de ganze Frisur in Emmer!“

Wir tragen Mundschutz, und nun ist plötzlich jeder von uns ein „Masked Singer“ und die anderen müssen raten, wer wir sind. Mich erkennt man scheinbar leicht an der Kontur des ganzen Bernd. Beim Einkaufen werde ich von scheinbar Wildfremden gegrüßt, die ich aber hinter ihrer Maske nicht sofort erkannt habe. Es ist keine Unfreundlichkeit von mir, wenn ich nicht grüße. Ich habe den oder die mit der Maske einfach nicht durchschaut. Ich eigne mich wirklich nicht als privater Ermittler wie Sam Spade, im Film selbstverständlich gespielt von Bogart. Ich bin kein Poirot, Holmes oder Wallander. Ich identifiziere niemanden.

Die Situation stellt uns vor echte Aufgaben. Auf den Handschlag zur Begrüßung konnten wir ja noch verzichten. Man stieß zwei Wochen lang eher belustigt die Ellenbogen aneinander. Dann aber wurde der Abstand auf anderthalb Meter zwangserweitert. Maximal berühren sich nun die Schuhspitzen ehemals fest geherzter Freunde. Jetzt mit Maske fehlt uns nicht nur der Körperkontakt, sondern sogar das Lächeln des anderen. Nur noch zarte Lachfältchen um die Augen herum geben uns kleinste Signale. Wehe dem, der gebotoxt ist. Da rührt sich nichts im Gewebe.

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Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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