Essensversorgung in Corona-Krise: Der Topf ist zu klein

Viele Schüler haben Hunger. Caterer, die ihnen Essen liefern, erhalten Geld vom Bund, doch der Transport wird nicht bezahlt.

Personen mit Schutzmasken packen Papiertüten

Helfer beim Einpacken: In Wilhelmsburg erhalten 500 Kinder Essen und Hausaufgaben in einer Tüte Foto: Martha Starke/morgen.jetzt

HAMBURG taz | „Die Reaktionen sind gigantisch“, sagt Marco Reyes Loredo. Seit fünf Tagen liefern sein Team und rund 30 Helfer aus dem Wilhelmsburger Künstlermilieu Mittagessen an 500 Kinder, verpackt in Gläsern mit Deckel, dazu Hausaufgaben vom Lehrer. „Allein die Geste, dass da jemand zur Tür kommt und sich kümmert, kommt richtig gut an“, sagt Reyes Loredo. Eine Alleinerziehende mit drei Kindern habe gesagt: „Das ist der erste Sonnenschein am Tag.“

Als Pilotprojekt hatte die Schulbehörde „Die Gläserei“ am Dienstag genehmigt, kurz bevor am Donnerstag Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Potsdam bei einem vergleichbaren Projekt die Kisten trug und grünes Licht für die Verwendung der Bundesmittel des „Bildungs- und Teilhabepakets“ für die Essenslieferung nach Hause gab. Dies hatte der CDU-Familienpolitiker Marcus Weinberg gefordert, nachdem in Hamburg eine erste Aktion namens „Mittagsrakete“ mit Essen für 2.000 Kinder um Spenden betteln musste.

Das Konzept für Wilhelmsburg hat Reyes Loredo von der Kochfirma „Hirn und Wanst“ mit dem Diakonie-Träger „Passage“ und der Stadtteilschule Wilhelmsburg ausgetüftelt. „Die Helfer kommen nun ganz anders in Kontakt zum Stadtteil“, sagt er. „Die Kids freuen sich auch tierisch über die Hausaufgaben. Egal wie banal die sind.“ Die Ausfahrer, teils mit Lastenrad oder Bollerwagen unterwegs, bekämen auch Schwieriges zu sehen. „Wenn ein Kind von der Stadtteilschule die Essenstüte bekommt und vier Geschwister stehen daneben und fragen: Was ist mit uns?“ Aber die Menschen lernten sich auch kennen. „Jeder erlebt Geschichten“, sagt Reyes Loredo.

Viel Zuspruch von den Familien erhielt auch Jörg Wieckenberg von „Mammas Canteen“, der seit dem 2. April mit der „Mittagsrakeke“ im Auftrag eines von Richtern gegründeten Vereins täglich Essen in ganz Hamburg ausfährt. „Die Kinder können es nicht fassen, dass jemand an sie denkt“, sagt er. Als dieses Projekt startete, erklärte die Sozialbehörde, es könne nicht von Bundesmitteln bezahlt werden, weil das Essen nicht in der Schule stattfinde. Am Dienstag lobte nun auch Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) in der Bild die Initiativen und sagte, von jetzt an werde die Stadt zahlen. Und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte im NDR, man sorge dafür, dass alle Kinder ein kostenloses Mittagsessen bekommen.

Essen auf Rädern muss schnell sein

Doch in ganz Hamburg sind über 70.000 Kinder so arm, dass sie Anspruch auf eine Mahlzeit haben. Für eine so große Anzahl sei „Essen auf Rädern“ keine Lösung – davon ist Wieckenberg überzeugt. Allein für die 40 Touren der „Mittagsrakete“ seien 60 Leute nötig. Denn das Essen muss schnell und bei gleicher Temperatur geliefert werden, um die Hygienestandards zu halten. Hubertus Heil schrieb indes an die Länder, für die Auslieferung werde kein Extrageld bewilligt.

Gudrun Stefaniak, Passage

„Wir denken, es tut den Kindern gut, mal vor die Tür zu kommen“

Die „Mittagsrakete“ kündigte am Mittwoch auf ihrer Homepage an, Anfang Mai, wenn die Schulen stufenweise öffnen, die Lieferungen einzustellen. Und auch Gudrun Stefaniak vom Träger „Passage“ sagt: „Die Gläserei ist toll, aber sie ist für die Belieferung von Schülern nur kurzfristig und mit viel Charity eine Lösung.“ „Passage“ und „Mammas Canteen“ sind Mitglieder in der Initiative Hamburger Caterer. Die schrieb nun einen Brief an den Bürgermeister: Die Caterer seien überzeugt, dass der Gesamtzahl der Kinder „nur sinnvoll durch eine Essensausgabe an den Stammschulen“ geholfen werde.

Eine Verteilung durch Externe sei ergänzend denkbar, müsse aber Hygienestandards genügen. Und weil die Ausgabe kleiner Mengen sich nicht rechne, sei für jede Schule eine Zahlung von 100 Euro am Tag nötig. Diese und weitere Hilfen bräuchten die Caterer, die wegen Corona in einer Existenzkrise seien.

Ab dem 4. Mai sollen einige Jahrgänge wieder zur Schule gehen. Die Caterer schlagen vor, zeitversetzt auch Essen an die übrigen Kinder auszugeben, an Einzeltischen oder als Mitgabe in Behältern. „Wir denken, es tut den Kindern gut, mal vor die Tür zu kommen“, sagt Stefaniak.

Schulbehörde und Sozialbehörde hatten die Frage, wie künftig das Essen für die Kinder organisiert wird, bis Redaktionsschluss der taz-Printausgabe zunächst nicht beantwortet. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) teilte nach Erscheinen dieses Berichts jedoch am Freitagmorgen mit, dass es an Hamburger Kitas spätestens ab dem 15. Mai kostenloses Essen für alle Kinder geben soll, welches die Eltern abholen können. Die Kosten würden aus dem Hamburger Gutscheinsystem übernommen. Näheres werde noch bekanntgegeben.

Anmerkung der Redaktion: Der Bericht wurde nach Erscheinen um die Ankündigung der Sozialbehörde aktualisiert.

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