berliner szenen
: Nicht sitzen, Leute, cruisen!

Früh am Morgen fahr ich so rum, durch eine Stadt, die wie ein Dorf ist, alles zu, alles leer, alles wegen der neuen Verordnungen. Ist irgendwie toll, die Stille, die Leere, aber irgendwie auch ganz und gar nicht, weil angeordnet. Ich mag Verordnungen nicht; da sträuben sich mir die Haare; Haare, die jetzt voll lang sind, weil keine*r mehr nah genug randarf, um die zu rasieren.

Es sträubt sich also recht viel auf meinem Kopf; voll unruhig bin ich auf meinem Rad. Ich radle schneller, weiter, bis ich dann doch mal anhalte, mitten im Tiergarten, an der Amazone da. Ich lehn das Rad ans Gestein, mich auch, und als ich so stehe und lehne, merk ich erst, wo ich das eigentlich tue: Cruisinggebiet!

Cruising jetzt, für alle, die das nicht kennen: Da steht man halt so, öfters noch aber läuft man, flaniert, spaziert; hält dabei Ausschau nach anderen, die auch so laufen, flanieren, spazieren, um dann mit denen ... Tja, zack, ab ins Gebüsch.

Gebüsch gibt’s hier schon, nur keine Leute. Aber dann wiederum darf man das ja jetzt auch nicht mehr, ab ins Gebüsch mit grad erst Kennengelernten; kein Wunder, dass hier keine*r ist. Liegt aber vielleicht auch daran, dass Sonnenaufgang ist. Ich glaub, Sonnenuntergang wär ’ne bessere Uhrzeit fürs Cruisen, und auch Vollmond wär gut; da kämen bestimmt Damen zuhauf hierher, weil weiblicher Mond und so.

Cruisende Lesben! Und das wär sogar legal, weil cruisen darf man noch. Man soll sogar: Erst gestern Abend fuhr Polizei im Park auf und ab und rief’s durch Lautsprecher aus: Nicht sitzen, Leute! Bewegen! Laufen!

Laufen, flanieren, spazieren also sollen wir jetzt, sprich cruisen – gesetzlich verordnet. Na dann, denk ich und fühl mich auf einmal ganz ruhig. Vielleicht doch nicht so falsch, die neuen Gesetze; man muss sie nur richtig interpretieren.

Joey Juschka