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Zumindest in meinem Kiez um die Warschauer Straße gibt es keine Pandemie (außer, dass die Kneipen zu haben):
- Nur 10% der Fußgänger weichen aus. Paare laufen nebeneinander ohne Platz zu machen. HIntereinandergehen? Wieso? Die Zollstocknummer traue ich mich nicht.
- Boxi und East-Side-Gallery und andere Grünflächen sind voll belegt. Nur die Hälfte in zweier-Gruppen, die meisten zu 3-5.
- Der Skapterpark an der Warschauer läuft wie immer. Nur ohne Musik. Skater scheinen die Nähe ganz besonders zu suchen und kuscheln sich gerne zu 5-10 Personen zusammen auf Bänken. Wer Normalität sucht, kann sich auch gerne das dichte Treiben vor dem Rewe anschauen. Distanz?
- Im Grünstreifen vor meinem Hause sehe ich abends jede Menge Gruppen mit 4-5 Leuten.
Also bis auf die geschlossen Kneipen und Restaurants ist alles so wie immer. Auch das RAW-Gelände ist komischerweise recht leer. Vielleicht ist das nur hier so, aber ich würde sagen: Business as usal.
Diese 1,5m wurden, jedenfalls in meiner Stadt, noch nie eingehalten. Ist auch bei der Enge der Fussgängerwege oft gar nicht möglich. Ausweichen geht nicht, da Bürgersteig zur Straße hin mit Stangen gesichert sind.
Was tun? Die meisten laufen einfach weiter, mit Millimeterabstand.
Eines ist jedenfalls offenkundig: der Mensch ist nicht in der Lage, gleichzeitig zu joggen und 1,5 Meter einzuschätzen.
In der turbulenten Sitzung im Thüringer Landtag gab AfD-Alterspräsident Treutler eine armselige Vorstellung. Das Gute: Demokratische Parteien arbeiteten zusammen.
Ein paar Gedanken zu Distanzen: Das sind doch 1,5 Meter!
Distanzen werden sehr unterschiedlich eingeschätzt, zeigen die Corona-Bestimmungen. Ist das etwa politisch begründet? Oder gar ein Gender-Problem?
Visualisieren ist ja ein beliebtes Vermittlungskonzept Foto: dpa
Das sollen also eineinhalb Meter sein? Dafür rauscht dieser Radfahrer ganz schön knapp an einem vorbei. Und die beiden Frauen, Anfang 30 und im Gegenverkehr, die da ihre Kinderwagen nebeneinander herschieben, munter in die andere Weghälfte hinein, haben das mit dem Abschätzen auch nicht so richtig raus. Eineinhalb Meter, das ist ungefähr so lang und weit wie man oder frau selbst einmal quer über den Weg gelegt. Meist mit ein bisschen Puffer oben drauf.
Wenn sich ausschließlich Männer so verhalten würden, ließe sich das vielleicht in Analogie zu der dort gelegentlich verbreiteten falschen Größeneinschätzung gewisser Körperteile erklären. Aber es sind ja eben auch Frauen, die stur geradeaus weitergehen und nicht zur Seite rücken. Diese zugegebenermaßen etwas zotige Erklärungsvariante fällt also aus.
Oder können sie, Frauen wie Männer, durchaus richtig schätzen und meinen bloß, es nicht mehr zu müssen? Weil ja jetzt „Flatten the curve“ erfolgreich war und alle Welt so sehr von Lockerung der Auflagen spricht, dass die Kanzlerin vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ warnt? Weil ja die Bilder mit den vielen Särgen aus Italien schon wieder einige Wochen alt sind?
Es gibt ja glücklicherweise weiter diejenigen, die Abstand halten, die sich in dem links und rechts von dichten Hecken begrenzten Kleingartenweg ganz an den Rand drücken, um sich, aber eben auch andere zu schützen. Aber es mehren sich – zumindest ganz subjektiv empfunden – inzwischen die, die das anders sehen, in der Wegmitte gehen und maximal einen Anstandszentimeter zur Seite rücken.
Irgendwie ist das aber auch nicht überraschend. Genauso wenig wie jene, die früher mit Einsamkeit schlecht zurecht kamen, so ändert sich auch wenig soziales Denken nicht automatisch in einer Sondersituation. Wer früher schon großkotzig in der Wegmitte ging und auch auf Klingeln oder Zuruf nicht reagierte, rückt auch jetzt nicht an den rechten Rand.
Wenn sich ausschließlich Männer so verhalten würden, ließe sich das vielleicht in Analogie zu der dort gelegentlich verbreiteten falschen Größeneinschätzung gewisser Körperteile erklären
Das kann man politisch gut finden. Aber wenn das dadurch motiviert wäre, müsste das vorwiegend im links-grün-regierten Gleisdreickeckpark in Kreuzberg zu finden sein. Doch auch im CDU-geführten Zehlendorf ist Rechtsverkehr in Parks nicht durchgängig.
Radikal würde nur helfen, was zu Anfangszeiten der Corona-Pandemie mal unter „kurios“ in den Fernsehnachrichten zu sehen war: Mit einem gummibootartigen 1,5-Meter-Abstandsring unterwegs sein. Oder, einfacher, mal einen Zollstock mitnehmen und den demonstrativ zur Seite halten. Visualisieren ist ja sonst auch ein beliebtes Vermittlungskonzept.
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Schwerpunkt Coronavirus
Kommentar von
Stefan Alberti
Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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