Protestforscher über Klimadiskurs: „Das Klima wird ein Thema bleiben“

Was bedeutet die Coronakrise für Fridays for Future? Der Protestforscher Simon Teune über Gefahren und Chancen für die Bewegung.

Demonstrantin mit Schild: "Warum hören wir bei Corona auf die Wissenschaft, bei Corona nicht?"

Auch in Pandemie-Zeiten gibt es Klimaproteste – nicht nur im Netz: am Freitag in Halle zum Beispiel Foto: Steffen Schellhorn/imago

taz: Herr Teune, ist der Klimadiskurs tot?

Simon Teune: Die Diskussion über die Klimakrise ist mit dem Corona-Ausnahmezustand nicht beendet. Aber sie wird stark an den Rand gedrängt. Die aktuelle Situation ist für die Klimabewegung problematisch. Sie war schon vor der Pandemie in einer Phase der Neuorientierung. Nun absorbiert erstens das Coronavirus die öffentliche Aufmerksamkeit, zweitens sind die Möglichkeiten, sich über öffentliche Aktionen Aufmerksamkeit zu erkämpfen, begrenzt. Das Versammlungsrecht wird ja gerade selbst bei übersichtlichen Aktionen eingeschränkt, die das Abstandsgebot einhalten.

Aber das gilt für alle gesellschaftlichen Akteur*innen.

Bei der Klimabewegung ist es am sichtbarsten, weil sie davor so präsent war und gerade über Massenaktionen Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Wird die Bewegung die Krise überleben?

Ich denke, die Aktivist*innen haben Grund für Optimismus. Zum einen ist die Klimabewegung mit den Fridays for Future sehr erfolgreich dabei gewesen, sich auszubreiten und Allianzen jenseits der sozialen Bewegung zu schmieden. Das Thema ist jetzt breit gesetzt. Außerdem ist es nur eine Frage der Zeit, bis Klimathemen wieder auf die Agenda drängen – ganz ohne politische Anstrengungen.

Sie meinen: Der nächste Dürresommer kommt bestimmt.

Genau. Auch Journalist*innen, die keine Klimaexpert*innen sind, haben gelernt, dass die Klimakrise nicht nur im Kontext von Demos und Wetterex­tre­men eine Rolle spielt, sondern an vielen Stellen. Und im Hinblick auf Wahlen mag Corona kurzfristig wichtig sein. Aber das Klima wird ein Thema bleiben, auf das Parteien dauerhaft Antworten entwickeln müssen.

Aber viele Menschen werden mit gravierenden Problemen aus der Coronakrise kommen – Schulden, Arbeitslosigkeit, Existenznöte. Die Sorge um das Klima wird nachrangig sein.

Deshalb ist es umso wichtiger, die soziale Dimension der Klimakrise in den Fokus zu stellen. Alle Formen von Ungleichheit werden durch die Corona­krise intensiviert. Fragen von Gewalt, Diskriminierung oder die Verteilung von Reichtum spitzen sich zu. Der Ausnahmezustand hat sehr unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene soziale Gruppen. Deshalb ist es wichtig, wenn man über das Klima redet, über Maßnahmen zu sprechen, die solche Verwerfungen im Blick haben. FFF hat das schon vor der Krise verstanden, das ist im letzten Jahr deutlich geworden. Da hat bei den Aktivist*innen ein sehr schneller Lernprozess eingesetzt.

Welche Chancen bietet die Situation für die Bewegung?

Die Rhetorik des Ausnahmezustands ist politisch nutzbar. In der aktuellen Situation zeigt sich, dass radikal einschneidende politische Maßnahmen möglich sind, wenn klar ist, dass es um Leben und Tod geht. Diese rigorose Haltung lässt sich unter bestimmten Bedingungen auch auf die Klimakrise anwenden. Man wird hinterher sagen können: „In der Coronakrise ging dies und jenes auch, wieso sollte es in Bezug auf die Klimakrise nicht gehen?“ Gerade beim Klimathema sind die Bedingungen dafür gut, denn es gibt ein gesellschaftliches Problembewusstsein. Die Frage ist eher: Wie gelingt es, dass auch ein politischer Wille entsteht, der Klimakrise mit radikalen Maßnahmen zu begegnen?

Wie bewerten Sie das Agieren von FFF in der Krise?

43, ist Vorstand des Instituts für Protest und Bewegungsforschung und Co-Leiter des Bereichs „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“ der Technischen Universität Berlin.

Bisher zeigen die Akti­vist*innen einen ziemlich intelligenten Umgang mit der Situation. Sie haben akzeptiert, dass Corona jetzt das Thema ist, und gehen verantwortungsvoll damit um. FFF wurde sehr früh mit dem Aufruf wahrgenommen, nicht auf die Straße zu gehen, sondern im digitalen Raum zu protestieren.

Für junge Aktivist*innen, die sich erst in diesem starken Klimajahr politisiert haben, ist es frustrierend, jetzt so ausgebremst zu werden. Wird die Bewegung schrumpfen?

Die Sympathien sind ihnen bislang nicht weggeschrumpft. Die Frage ist, inwiefern der jetzige Zustand an den Kräften der Leute zehrt, die sich engagieren. Aber viele von ihnen sind eher privilegiert. Sie haben wahrscheinlich ein Polster, einen Arbeitsvertrag, der ihnen das Einkommen sichert. Es wird also nicht so sehr an ihrer Substanz zehren.

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