Utopien und Dystopien in der Quarantäne: Bananenbrot und Geduld

Die Geschäftigkeit im Homeoffice ist einer großen Langeweile gewichen. Zeit, sich ausgiebig den eigenen Unzulänglichkeiten zu widmen.

e Frau arbeitet mit Hörschutz im Homeoffice.

Ob Videokonferenz oder Lärmschutz: Der Kopfhörer ist das Accessoire der Stunde Foto: Sebastian Gollnow/dpa

So, so – langsam muss jetzt aber Schluss sein mit dem Shutdown. Alle haben brav ihren Camus ausgelesen, ihre gehamsterten Vorräte weggesnackt und erschöpfend ihre Ideen zur Krise und dem, was falsch läuft und was richtigerweise bald kommen müsste, in die Welt gezoomt. Jetzt gibt’s langsam nichts mehr zu meinen, und deshalb muss das jetzt ein Ende haben. Zumindest so war der Sound der letzten Tage.

Dabei wird es doch jetzt erst richtig interessant. Jetzt wird ’s nämlich denen, die die Krise superbequem auf dem Sofa erleben (unter anderem ich), so richtig fad. Bislang hat sich keiner wirklich gelangweilt, es gab genug zu tun, genug Zeit zu nutzen. Zum Ausmisten, Umräumen, mal den Rücken zu dehnen. Mal spazieren gehen, mal was Ordentliches Kochen. Kurz: das Leben zu leben, für das man sonst zu busy ist.

Tatsächlich, scheint mir, haben viele, die nichts Richtiges zu tun haben (also nicht Pfleger, Ärztin, Verkäuferin oder Postbote sind), die übliche Geschäftigkeit aber erst mal nur ins eigene Wohnzimmer verlagert. Bloß nicht stillstehen, bloß was abarbeiten, endlich schafft man mal was! Geil. Direkt proportional dazu wurden die Essays, die geschrieben und publiziert wurden, immer länger. Soll ja keiner denken, man wäre faul im Homeoffice. Viel Text hilft viel.

Langsam aber schmeckt das selbst gebackene Bananenbrot nicht mehr, also, Mutti, wann sind wir endlich da-haaa? Ich will nicht gemein sein, für viele Menschen ist das Alleinsein grausam, vor allem in ihrem Sinne hoffe ich, dass wir wirklich bald da sind: in der Wiedereröffnung des Lebens, wie wir es kannten.

Utopien und Dystopien gedeihen in der Quarantäne

Aber wird es je wieder, wie es war? Oder wird alles anders? Die Utopien und Dystopien gedeihen bestens in der Quarantäne: Wir werden solidarischer (Hallo, Menschen aus Moria!), genügsamer (Ade, Kapitalismus!), überwachbarer (Was gibt's, Zoom?). Wir werden nicht mehr in den Urlaub fliegen (Ging ja gut, ohne, in den Osterferien, oder?) und endlich die niederen Kasten besser bezahlen (und zwar nicht nur mit Applaus). Echt jetzt?

Ich glaube eher: Ja, der Mensch ist in heiklen Situationen zu sehr viel fähig. Genauso, wie man den Grusel vor Körperflüssigkeiten sehr schnell vergisst, wenn jemand Erste Hilfe braucht, schaltet man auch leicht in jeden anderen Krisenmodus um. Wächst mal kurz über sich hinaus. Von Dauer ist es meistens nicht: Die derzeit viel gefeierte Solidarität, die gab’s angeblich auch in der DDR und die wird’s wohl auch geben, wenn der Klimawandel uns verbrennt. In den bequemen Zeiten dazwischen aber, werden wir, schätze ich, genauso schnell wieder uns selbst die Nächsten sein, wie wir’s brauchen, um den ersten Post-Corona-Flug zu buchen. Davon abgesehen: So wahnsinnig weit her ist es mit dem Mitgefühl auch jetzt nicht.

Kurzum: An eine andere Gesellschaft nach Corona glaube ich nicht. Nein, sorry, liebe linke Leser, auch der Kapitalismus wird nicht gezähmt werden. Zur Erinnerung: Ein Teil Deutschlands hat 40 Jahre lang ohne ihn gelebt – und ihn dann ruckzuck und selbstvergessen lieben gelernt. Warum also sollte er nach ein paar Wochen erzwungenen Konsumverzichts verschwinden? Genauso wenig werden wir dauerhaft besser aufeinander achtgeben – wo wir uns doch schon jetzt dauernd gegenseitig Vorwürfe machen.

Geduld als Konzept

Menschen haben Mühe, sich in jahrelangen Therapien zu ändern, und diese fordern harte Auseinandersetzung mit sich selbst. Und das ist mehr als ein paar längere Telefonate mit Freunden oder ein paar echte Gespräche statt Netflix mit dem Partner.

Was wir wirklich rüber retten könnten in die Zeit danach, ist, Geduld zu haben. Mit dem Partner, der ja echt so ’nen ganz anderen Tagesrhythmus hat. Mit den Kollegen, die echt immer anderer Meinung sind, mit den Kindern, die echt immer wieder dieselbe Geschichte vorgelesen haben wollen. Mit den Risikogruppen, die echt trotz ihrer Schwäche leben wollen. Geduld, kurz zur Erinnerung, meint das Konzept, anzuerkennen, dass es für ein Problem nicht nur keine schnelle, sondern gar keine Lösung gibt. Und dass das okay ist.

Jetzt also, wo die ganzen Tricks zur Selbstablenkung durchgeturnt sind, gibt es die Chance, sich so langsam einmal mit sich selbst zu beschäftigen. Und was da durch die Langeweile ans Licht drängt, ist unangenehm – sonst würde man ja nicht so viel Kraft drauf verwenden, es mit Tun zu übertönen: Mit Jobs, die man so wichtig nimmt, dass man ­freiwillig unbezahlte Überstunden macht, mit ­Podcasts, die man nach der Arbeit noch zur Weiterbildung hört, mit Brunch und Basteln am Wochenende, you name it. Jetzt, wo es bald nichts mehr zu tun und schon gar nichts mehr zu planen gibt, braucht es weniger große Ideen. Besser wäre, sich geduldig den eigenen Unzulänglichkeiten zu stellen.

Etwa der, dass man den Camus, wie ich, noch nicht mal angefasst hat.

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