Prozess gegen syrischen Folterer: Eine Annäherung an Gerechtigkeit

Mohammed A. ist in den Folterkellern des Assad-Regimes misshandelt worden. Nun steht einer seiner Peiniger in Koblenz vor Gericht.

Eine Frau mit rotem Kopftuch schaut sich die Fotos der Ausstellung an

Die Fotos in einer Ausstellung in Washington dokumentieren die Verbrechen des Assad-Regimes Foto: Samuel Corum/picture alliance

Mohammed A. ist gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden. Er ist oft dort, wegen seiner Herzprobleme. Auch zum Psychologen geht er, weil er nicht schlafen kann. Nachts liegt er wach, wenn ihn die Erinnerung quält oder ein schwerer Migräneanfall. Und weil die Nerven seiner rechten Hand stark beschädigt sind, ist er auch in neurologischer Behandlung. Mohammed A. lebt seit 2014 in den Niederlanden, westlich von Amsterdam, aber ein Neustart mit seiner Frau und den beiden Kindern fällt dem 41-Jährigen schwer. Was er im Gefängnis des syrischen Geheimdienstes erlebt hat, kann er nicht hinter sich lassen.

Als sich im März 2011 die Menschen in Syrien erstmals auf die Straße trauen, um gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu protestieren, ist Mohammed A. dabei. In seiner Heimat Harasta, einem Vorort von Damaskus, organisiert er die Proteste mit, filmt sie und lädt die Videos auf Face­book und YouTube hoch. In vielen syrischen Orten gehen die Menschen damals de­mons­trie­ren, sie fordern Freiheit und Würde, ein Ende von Korruption und Vetternwirtschaft. Das Regime versucht, die Revolution mit Gewalt niederzuschlagen, Oppositionelle und Aktivisten werden verfolgt, Geheimdienste und Militär gehen immer brutaler gegen sie vor.

Am 14. Oktober 2011 wird Mohammed A. bei der wöchentlichen Freitagsdemonstration in Harasta verhaftet und in ein Gefängnis mit Ermittlungsabteilung im Zentrum von Damaskus gebracht. Zwei Wohngebäude, kaum zu unterscheiden von den Häusern der Nachbarschaft, allerdings mit Wachen vor der Tür. Sie gehören zu der berüchtigten Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes, die für die innere Sicherheit der Hauptstadt und des Umlands zuständig ist.

Die Folterzellen im Keller

Im Keller der beiden Häuser liegen die Zellen. Auf fünf mal fünf Metern sind 80 bis 120 Menschen zusammengepfercht, sie können kaum atmen, nicht sitzen, nicht liegen, nur stehen. Mohammed A. wird an den Händen an der Decke aufgehängt, so dass nur seine Zehenspitzen den Boden berühren. Er wird mit Plastikrohren, Stöcken, Lederriemen geschlagen, überall hin. Stromstöße werden durch seinen Körper gejagt. Und wenn er ohnmächtig wird oder einschläft, übergießt man ihn mit kaltem Wasser. Tagelang. So erzählt er es vergangene Woche im Gespräch mit der taz.

Mehr als drei Monate dauert sein Martyrium. Bei den Verhören habe häufig ein Mann die Befehle gegeben: Oberst Anwar R., der die Unterabteilung für „Ermittlungen“ leitet. „Anwar R. war kein kleiner Kommandant, er war der Chef“, sagt Mohammed A.

Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Bald wird er seinen Peiniger wiedersehen. Auf der Anklagebank im Saal 128 des Oberlandesgerichts in Koblenz. Hier wird am kommenden Donnerstag der Prozess gegen Anwar R. und einen Mitangeklagten eröffnet. Die Vorwürfe: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-facher Mord und Folter in mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Es ist ein weltweit bislang einzigartiges Verfahren: Erstmals müssen sich Assads Folterknechte für ihre Taten vor Gericht verantworten.

„Ein Strafverfahren kann natürlich nichts richten bei einem Verbrechen von solcher Dimension“, sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin, das sich seit vielen Jahren dafür einsetzt, dass die Verantwortlichen für Folter und Kriegsverbrechen nicht ungestraft davonkommen. „Es ist zu groß, zu schwerwiegend. Aber der Prozess ist ein erster Schritt, eine Annäherung an Gerechtigkeit.“

„Anwar R. hinter Gittern zu sehen, gibt den Opfern ein Gefühl von Gerechtigkeit“, sagt Mohammed A. Er hat zu diesem Prozess nicht nur durch seine Zeugenaussage beigetragen, er ist auch Nebenkläger.

Der Prozess ist möglich, weil seit 2002 im deutschen Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip verankert ist. Seitdem kann die hiesige Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Der Prozess soll den Opfern Gerechtigkeit bringen. Er soll aber auch ein Zeichen an Diktatoren wie Assad senden: Dass der deutsche Rechtsstaat zu handeln bereit ist und Taten geahndet werden.

Kein sicherer Hafen für Kriegs­verbrecher und Völkermörder – das ist das Credo deutscher Ermittler

„Kein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher und Völkermörder, keine Straffreiheit“, so lautet das Credo der zuständigen Ermittler. „Der Generalbundesanwalt leistet da verdienstvolle Arbeit“, lobt Kaleck, der früher mit Deutschlands oberstem Ankläger häufig über Kreuz lag.

Die Arbeit von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) hat sich in Sachen Völkerstrafrecht in den vergangenen Jahren stark verändert. Die zuständigen Bereiche in beiden Behörden wurden aufgestockt. Bereits seit 2011 ermittelt das BKA im Auftrag der Bundesanwaltschaft in einem sogenannten Strukturverfahren zu Syrien, eine Art Vorermittlung gegen unbekannt – und hat immenses Wissen zusammengetragen.

Personenbezogene Untersuchungen

Inzwischen gibt es auch personenbezogene Untersuchungen. Seit 2014 sind rund 20 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige syrische Regimefunktionäre eingeleitet worden. Der bekannteste Fall: Jamil Hassan, der ehemalige Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, gegen den der Bundesgerichtshof 2018 einen internationalen Haftbefehl erlassen hat.

Laut Anklage hatte Anwar R. als Leiter der Ermittlungseinheit in der Abteilung 251 Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten und das Gefängnispersonal. Vom 29. April 2011 bis zum 7. September 2012 seien mindestens 4.000 Häftlinge der Abteilung 251 gefoltert worden, Verhöre ohne Misshandlungen gab es praktisch nicht. Die Anklage führt unter anderem Schläge auf die Fußsohlen auf, Elektroschocks und eine Methode namens „Dulab“, bei der die Häftlinge in einen Autoreifen gezwängt und geschlagen werden.

Zumindest in jeweils einem Fall sei es auch zu einer Vergewaltigung und einer schweren sexuellen Nötigung gekommen. Den Inhaftierten, so die Anklage weiter, wurde zudem angedroht, nahe Angehörige zu misshandeln. So sollten Geständnisse erzwungen und Informationen über die Oppositionsbewegung gewonnen werden.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Mindestens 58 Menschen seien infolge der Folter gestorben. Anwar R., so die Anklage, habe seine Beamten eingeteilt und ihre Arbeit, auch den Einsatz von systematischen Folterungen, überwacht und bestimmt. Er habe gewusst, dass Häftlinge aufgrund der massiven Gewalt starben.

Nach Informationen der taz stützt sich die Anklage auf die Aussagen von etwa 80 Zeugen, 24 von ihnen sind selbst Opfer von Folter. Sie leben in verschiedenen europäischen Ländern, viele von ihnen werden im Prozess aussagen, manche aus Angst vor Repressionen anonym. Was sie berichten werden, ist schmerzhaft – auch deshalb, weil sie indirekt beschreiben, was in Syrien weiterhin passiert. Mindestens 90.000 Regimegegner sind laut Menschenrechtsorganisationen noch immer in Haft, werden gefoltert, gequält und nicht gehört. Mohammed A. will ihnen eine Stimme geben. „Ich spreche im Namen aller, die noch im Gefängnis sitzen, die verschwunden oder tot sind.“

Beweise wurde aus Syrien geschmuggelt

Hinzu kommen die sogenannten Caesar-Files, mehr als 50.000 Fotos, die der ehemalige syrische Militärfotograf mit dem Decknamen Caesar von mindestens 6.786 getöteten Gefangenen gemacht und aus Syrien herausgeschleust hat. Das BKA hat einen Teil der Fotos forensisch ausgewertet. In Koblenz werden sie erstmals als Beweise vor Gericht eingesetzt.

„Unglaublich dicht“, sei die Beweislage, sagt Wolfgang Kaleck. Das ECCHR arbeitet seit Jahren mit syrischen Anwälten, Zeugen und Überlebenden zusammen und hat seit 2016 mehrere Strafanzeigen wegen Folter gestellt – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Schweden und Norwegen. Federführend war dabei der Berliner Anwalt Patrick Kroker, der in dem Prozess gemeinsam mit einem Kollegen sechs Nebenkläger vertritt.

Kroker rechnet mit einem langen, womöglich mehrjährigen Prozess – wegen der Schwere der Anklage und der Anzahl der Zeugen. Seinen Mandanten gehe es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit, betont Kroker. „Die unglaublich große Straflosigkeit für alle möglichen Völkerrechtsverbrechen in Syrien beginnt jetzt zumindest mit Bezug auf die systematische Folter zu bröckeln.“

Anwar R. hat Syrien im Winter 2012 verlassen und will zur Opposition übergelaufen sein. Diese schickte ihn Anfang 2014 sogar zu den UN-Verhandlungen in Genf. Im Sommer 2014 reiste Anwar R. als Flüchtling nach Deutschland ein. Bei seiner Anhörung soll er ausgesagt haben, er sei desertiert. Am 12. Februar vergangenen Jahres wurde Anwar R. in Berlin festgenommen. Sein Verteidiger, der Berliner Rechtsanwalt Michael Böcker, will sich nicht zur Prozessstrategie äußern. „Wir wollen der Hauptverhandlung nicht vorgreifen.“

Für Wolfgang Kaleck vom ­ECCHR ist letztlich nicht entscheidend, ob Anwar R. sich geändert hat. „Das entlastet ihn ja nicht von dem Vorwurf, für den Tod von 58 Menschen verantwortlich zu sein.“ Mohammed A. glaubt nicht an die Wandlung seines Peinigers. „Sein Desertieren war ein Plan des Re­gimes, um die Opposition auszuspionieren“, vermutet er.

Der frühere Aktivist Mohammed A. hat Ende 2012 heimlich die Grenze zur Türkei überquert und ist 2014 weiter in die Niederlande geflohen. Nach einem guten Jahr kam die Familie nach. Seine Hoffnung mit Blick auf den Prozess in Koblenz: „Dass davon eine Botschaft ausgeht an Baschar al-Assad und die anderen Verantwortlichen, an all die Kriegsverbrecher: Ihr werdet zur Rechenschaft gezogen. Egal wie lange es dauert.“

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