Schutz ist nicht für alle da

Mindestens 33 Bewohner*innen der Erstaufnahmestelle an der Lindenstraße sind mit Corona infiziert. Die Gefahr ist lange bekannt, doch einen Plan hat die Behörde nicht

Demo mit Abstand und geschütztem Mikro – in der Lindenstraße selbst gibt es so viel Schutz nicht Foto: Hannes von der Fecht

Von Lotta Drügemöller

Schutz vor Corona ist das Recht eines jeden, „Corona protection is everybody’s right“, rufen die Protestierenden. 60 Menschen laufen am Freitag unter strengen Polizeiauflagen vom Bahnhof bis zum Rathaus; mit den Unterstützer*innen in gebührendem Abstand überall am Straßenrand sind es viel mehr. Ihre Forderung: „Shut down Lindenstraße“ – schließt die Erstaufnahmestelle in Vegesack. Etwa 380 Menschen von ursprünglich 650 leben dort aktuell noch.

Die Forderung nach einer Schließung ist alt, doch nun kommt die Gefahr des mangelnden Infektionsschutzes in Mehrbettzimmern mit Gemeinschaftsbad und -verpflegung dazu. Brisanz gewinnt die Demo, weil die Mahnenden Recht behalten haben: Corona hat sich in der Zentralen Aufnahmestelle (Zast) in der Lindenstraße verbreitet. 33 Bewohner*innen sind bis Donnerstag positiv auf das Virus getestet worden. Sie zeigen bisher keine Symptome.

Die Behörde vermutet, dass sie die Ansteckungskette kennt, die Geschichte klingt kompliziert. Positiv getestete Neuangekommene habe man schnell isoliert. Die größere Infektion sei wohl über jemanden verlaufen, der schon länger in der Einrichtung lebte. Nach seiner Rückkehr aus einem Risikogebiet sei er nach 14 symptomlosen Tagen in Quarantäne ungetestet wieder in die Gemeinschaft gekommen. „Wir wollten ihn erst testen, aber das Gesundheitsamt lässt das nur nach den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts zu“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin. Nur zufällig sei der Mann einen Tag später an einen Test gekommen – er hätte sich versehentlich zur Gruppe der neu Angekommenen gesellt.

Nach dem positiven Corona-Ergebnis wurde der Wohnflur des Infizierten unter Quarantäne gestellt und durchgetestet: 33 der 62 Bewohner*innen waren infiziert. Für die anderen Bereiche des Hauses hat die Behörde bis Redaktionsschluss noch keine Zahlen veröffentlicht. Für die Teilnehmer*innen der Demo gibt es nur eine Konsequenz: „Evacuate everybody“, ruft Ansu Janneh durch den Lautsprecher. Dass die Zast noch geöffnet ist, ist für Sprecher Omar ein Rassismusproblem: Bei Deutschen hätte es nur einen Tag bis zur Schließung gedauert, sagt er – „But it’s only black people“, es geht nur um Schwarze.

Die Forderung, Bewohner*innen in Hotels unterzubringen, wird die Sozialbehörde wohl nicht erfüllen. Zwar habe es Angebote gegeben, jedoch nur zu unrealistischen Preisen oder mit jahrelangen Nutzungsverträgen. Die meisten Hotels hätten die baurechtlichen Anforderungen nicht nachgewiesen.

Wie es weiter geht, ist unklar. Die Bewohner*innen fordern seit Wochen eine Schließung. Trotzdem: Für den Fall einer großen Infektion habe man noch keinen Plan entwickelt, so die Sozialbehörde. „Wir können nicht für alle Eventualitäten vorausplanen“, sagt Schneider.

Viele Zaungäste der Demo zeigen Verständnis für die Protestierenden. „Wenn die Stadt sagt, haltet Distanz, muss das auch möglich sein“, so der Mitarbeiter einer Dönerbude. Und eine junge Frau mit Fahrrad bemerkt: „Es ist paradox, dass die Leute hier zwei Meter Abstand einhalten müssen und das zu Hause nicht können.“

Andere Passant*innen reagieren hoch aggressiv: „Go home“, ruft ein Mann mit Mundschutz. „Lass die verrecken an dem Virus“, so eine bürgerlich wirkende Frau aus ihrem stehenden Auto heraus.

Dabei macht Sprecher Janneh da gerade klar, dass die Mehrheitsgesellschaft sich auch aus Eigennutz für die Infektionen interessieren sollte: „Wenn ihr uns nicht schützt, kümmert euch Bremen nicht“, so Janneh auf Englisch. „Wir nutzen die selben Räume wie alle anderen.“

Bürgermeister Andreas Bovenschulte nimmt am Ende die Liste mit mehr als 4.000 Unterschriften für die Schließung vorm Rathaus entgegen. „Er sagt, er habe uns zugehört und will schauen, was er tun kann“, erzählt Janneh. „Er hätte uns schon vorher zuhören können“, meint Mohammed neben ihm ebenfalls auf Englisch. „Wir demonstrieren heute zum dritten Mal.“