Alltag im Corona-Zeiten: Mother’s little Helper

Unsere Autorin macht die verschiedenen Phasen der Krise durch. Erst die Panikphase, dann die Ermächtigungs- und Mut-mach-Phase – und was kommt nun?

Süßigkeiten, Kaffee und Kekse stehen neben einem Laptop auf einem Tisch - so könnte es im Homeoffice aussehe

Nervennahrung in Zeiten von Homeoffice Foto: picture alliance/Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Ende Februar erschien meine letzte Kolumne. Seitdem ist das Kind zu Hause. Als es nach zwei Wochen Bindehautentzündung endlich wieder zur Kita hätte gehen sollen, ging der Lockdown los.

Anfangs war ich einfach nur panisch. Ich saß auf dem Sofa und heulte: „Ich will nicht an Corona sterben.“

Nach einigen Tagen stellte ich fest, dass ich noch lebte und dass die größte Belastung das Eingeschlossensein war. Die Bewegungslosigkeit. „Bewegung heißt Leben“, sagt Brad Pitt in „World War Z“, dem zurzeit wahrscheinlich meist-gestreamten Pandemiefilm weltweit. Eine Familie im Film, die sich, den Angaben der Behörden folgend, zuhause einschließt, sitzt in der Mausefalle und stirbt. Die Familie der Figur von Brad Pitt dagegen, die sich ins Offene begibt, mutig ist und was riskiert, die überlebt.

So ist das im Film. In der Realität verharren wir nun schon seit gefühlten Monaten in Untätigkeit, sollen nichts tun, uns verstecken. Das ist so ziemlich das Gegenteil von allem, wozu die westliche Gesellschaft und ihre Kulturindustrie uns erzogen haben.

Immer erreichbar, immer produktiv

„Es gibt kein Recht auf Faulheit“, verkündete Gerhard Schröder zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Seither ist unsere Gesellschaft immer effizienter geworden, dank Smartphones und Laptops immer erreichbar, immer produktiv.

Nun betreuen wir rund um die Uhr unsere Kinder. Wir versuchen, Essen ranzuschaffen, zu verkochen, zu verfüttern, im Homeoffice irgendwelchen halbgaren Quatsch zusammen zu schustern und nicht durchzudrehen.

Aufräumen hilft. Sortieren. Putzen. Es vermittelt ein Gefühl von Kontrolle, weil es eine Handlung ist, die ein sichtbares Ergebnis nach sich zieht. Aufräumen ist ein Analyseprozess. Es verschafft Durch- und Überblick, genau das, was uns jetzt so fehlt. Wenn wir verstehen, was ist, hoffen wir zu verstehen, was wird.

Vor jedem Hauseingang stehen Verschenke-Kisten. Kaputtes Spielzeug, unbequeme Schuhe, Bücher, die niemand liest. Wir nutzen die Zeit, die Corona uns schenkt, um Dinge los zu werden, die wir nicht haben wollen.

In Moria sitzen die Menschen, die keiner will.

Rückschritt ins Biedermeier

Mir geht die Nachbarschaftshilfe, das Maskengenähe und Balkongesinge zunehmend auf die Nerven. Denn es ist doch letztendlich nur ein Rückschritt ins Biedermeier. Häusliche Tugenden, häusliche Gewalt, Kleinfamilie, Kleingarten. Jeder Staat wurschtelt vor sich hin, jedes Bundesland, jede Gemeinde.

Unter Soziologen wird schon seit Längerem diskutiert, ob Margaret Thatcher mit ihrem Schlachtruf des Hyperindividualismus „There is no such thing as society“ 1987 vielleicht doch recht hatte. Vielleicht gibt es einfach kein Kollektiv, keine Gruppe, auf die wir uns berufen können. In der Krise ist jeder sich selbst der Nächste. Die Herrschaften der Leopoldina finden, die Kitas können bis zum Herbst zu bleiben – also bis zu den Sommerferien, danach sind sie regulär geschlossen. Ich werde mir vorsorglich eine Kittelschürze im Internet bestellen. Und Lockenwickler.

Das sind sie, die verschiedenen Phasen der Krise. Erst kam die Panikphase, dann die Ermächtigungs- und Mut-mach-Phase. Nun sind wir in jener der Aggressivität und Depression angekommen.

Ich will nicht mehr auf dem Teppich im Kinderzimmer sitzen und Spielzeugautos durch die Gegend schieben!

Im Hintergrund dudeln die Stones „Mother's little helper“.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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