Coronainfizierter Erntehelfer tot: Schutzlos bei der Ernte

Ein erkrankter Rumäne wird tot auf einem Spargelhof bei Freiburg gefunden. Der Seuchenschutz macht Aushilfen noch abhängiger von ihrem Arbeitgeber.

Arbeiter aus Rumänien ernten auf einem beheizten Spargelfeld Spargel

Harte Arbeit, wenig Geld: Rumänen ernten auf einem Feld in Baden-Württemberg Spargel Foto: Silas Stein/dpa

BERLIN taz | In Baden-Württemberg ist ein rumänischer Erntehelfer nach einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Der 57-Jährige wurde am vergangenen Samstag tot in seiner Unterkunft gefunden und später positiv getestet, teilte das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald am Donnerstag mit. Die Polizei schloss Fremdverschulden oder Suizid aus.

Laut Spiegel hatte der Rumäne in einem Bad Krozinger Betrieb nahe Freiburg bei der Spargelernte geholfen. Er habe sich wohl in Deutschland mit dem Virus infiziert. Vor seinem Tod soll er über Husten und Schnupfen geklagt haben. Die rumänische Botschaft in Berlin teilte der taz mit, der Mann sei am 20. März angereist. Dem Landratsamt zufolge ist auch ein weiterer Spargelstecher auf dem Hof erkrankt, der sich an die Vorgaben zur Beschäftigung von Erntehelfern gehalten habe. Beispielsweise hätten die Arbeiter den Betrieb nicht verlassen.

Der Fall ist politisch brisant, weil die Arbeitsbedingungen von ausländischen Erntehelfern von jeher umstritten sind. Wegen der Corona-Pandemie hat das Bundesinnenministerium am 25. März den normalerweise jährlich 300.000 Saisonkräften etwa aus Rumänien die Einreise verboten. Die Behörde begründete die Maßnahme mit der großen Zahl von Personen, die kommen würden, obwohl wegen der Seuche soziale Kontakte reduziert werden sollen.

Damals waren aber laut Agrarministerium schon 20.000 Aushilfen eingereist. Außerdem stimmte das Innenministerium auf Druck der Branche dann doch der Einreise von insgesamt 80.000 SaisonarbeiterInnen im April und Mai unter speziellen Hygieneauflagen zu. Sonst hätten viele Landwirte Geld und einen Teil der Gemüse- und Obsternte verloren, denn für den Branchen-Mindestlohn von 9,35 Euro brutto pro Stunde lassen sich nur wenige Arbeitskräfte aus dem Inland rekrutieren.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, sieht durch den Todesfall seine Kritik am Erntehelfersystem bestätigt. „Bei der Menge von Menschen, die zu uns kommen, ist es wahrscheinlich, dass solche Fälle passieren“, sagte er der taz. Dennoch würden Sicherheitsmaßnahmen oft nicht eingehalten. Die Unterkünfte – etwa Mehrbettzimmer – seien vielerorts katastrophal. Zu klären sei, ob der Arbeiter sich nicht getraut hat, sich krank zu melden, obwohl er Symptome hatte: „Man muss fragen, ob alles getan wurde, um diesen Todesfall zu verhindern.“

Der Grüne kritisierte wie die Beratungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds „Faire Mobilität“ für Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa, dass die Erntehelfer wegen der Corona-Sicherheitsmaßnahmen dieses Jahr noch abhängiger von ihrem Arbeitgeber seien. Tatsächlich sehen die vom Innen- und Agrarministerium vereinbarten Regeln vor, dass die Neuanreisenden in den ersten 14 Tagen das Betriebsgelände nicht verlassen dürfen.

Auch danach sollen die Arbeiter zum Beispiel nicht selbst außerhalb einkaufen. Die Ausreise muss der Bundespolizei von den Arbeitgebern angekündigt werden. Da die Helfer in ihre Heimat fliegen müssen, aber die Regierung in Bukarest für das Ziel Deutschland nur noch von den Arbeitgebern organisierte Charterflüge genehmigt, können sie nicht auf eigene Faust abreisen.

„Sie sind gebunden an ihren Arbeitgeber“, sagte Dominique John, der Leiter des Beratungsprojekts, der taz. Normalerweise könnten die Beschäftigten abreisen, wenn die Bedingungen zu schlecht sind. „Dieses Jahr können sie das nicht. Die sitzen da fest“, ergänzte Berater Szabolcs Sepsi. Er und seine KollegInnen könnten die Arbeiter auch nicht auf den Feldern ansprechen. John forderte, dass allen Erntehelfern bei der Anreise die Nummer der telefonischen Beratung von „Faire Mobilität“ mitgeteilt wird. In den Regeln der Ministerien ist davon aber nicht die Rede.

„Die Arbeitsbedingungen sind oft sehr schlecht. Es werden meist Akkordlöhne gezahlt, mit denen oft der Mindestlohn umgangen wird. Das ist Ausbeutung“, so Sepsi. Weil die Arbeiter nach ein paar Monaten zurück nach Rumänien reisten, könnten sie sich kaum wehren. Es sei zynisch, dass das Agrarministerium von einer „faktischen Quarantäne“ der Helfer spricht: „Diese Quarantäne gibt es nur gegenüber der einheimischen Bevölkerung in Deutschland.“ Tausende Arbeiter hätten dichtgedrängt am Flughafen warten müssen, sie wohnten in Massenunterkünften, obwohl sie aus verschiedenen Teilen Rumäniens kämen. Sepsi: „Die werden nur abgeriegelt vor der deutschen Bevölkerung, ihr eigener Schutz spielt keine große Rolle“.

Das Agrarministerium teilte mit, die Arbeitgeber müssten sich an alle Regeln halten und die Behörden das kontrollieren. „Die Verhandlungsposition der Saisonkräfte hat sich in der jetzigen Situation erkennbar verbessert“, erklärte der Bauernverband, „die Löhne steigen, die Wertschätzung für die Erntehelfer ist extrem hoch. Unsere Saisonarbeiter kommen gerne und freiwillig – teilweise seit vielen Jahren – nach Deutschland“.

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