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: Wo Schwäne brüten und Kaninchen mümmeln

Eigentlich sollte ich gerade auf Heimaturlaub in Österreich sein: über die Feiertage bei der Familie in Graz, am darauf folgenden Wochenende für etwas Kultur in Wien. Dazwischen, sprich gerade jetzt, wäre ich in den steirischen Bergen, ohne Internet und Empfang, dafür mit viel frischer Luft sowie Glocken schwenkenden Kühen um mich herum.

Stattdessen verbringe ich meinen Urlaub zum ersten Mal zu Hause. Und in den Rehbergen, die zwar die Erhebung im Namen, aber nur bedingt in ihrer landschaftlichen Gestaltung tragen.

Bis voriges Jahr wusste ich nicht einmal, dass sich der Weddinger Volkspark derart in meiner Nähe befindet, fünf Jahre habe ich gebraucht, das herauszufinden. Es musste erst eine Pandemie kommen, dass ich das Areal zu meinem zweiten Hang-out kürte. Nun jogge ich hier in unregelmäßigen Abständen und komme bei den minimalen Steigungen doch jedes Mal ins Keuchen.

Kühe gibt es keine, dafür Wildschweine und Mufflons in einem Wildtiergehege – Letztere begeistern mich schon ihres Namens wegen. Dazwischen, wo Büsche und Bäume dem Gebiet den Eindruck von Naturbelassenheit vermitteln, findet sich allerhand Geflügel; von der Kohlmeise über Buchfinken bis hin zu Habichten. Ist man aufmerksam genug, erhält man hier einen wunderbaren Einblick in die Berliner Tierwelt.

Am angrenzenden Plötzensee verweist ein Schild am Zaun auf ein brütendes Schwanenpaar, und tatsächlich sehe ich zwei weiße Langhälse am Ufer auf ihrem Nest hockend. Der Gedanke, dass sie für immer zusammenbleiben, einander beim Nestbau und der Brutaufzucht beistehen, berührt mich tief. Es existiert also doch: das gerechte Familienmodell.

Weniger monogam, aber nicht minder bezaubernd sind die Kaninchen, die jetzt im Frühjahr wieder die Grünanlagen der Hauptstadt bevölkern. Eines dieser Exemplare – wohl gerade dem Osterstress entkommen – entdecke ich zwischen Brennnesseln sitzend und mümmelnd. Es wirkt sehr jung, ist aber vielleicht auch einfach nur klein für jemanden, der es gewohnt ist, vollgefressene Tiere nur hinter Scheiben und Gittern zu sehen.

Unweit von dem kleinen Mümmler lasse ich mich auf einem Baum nieder – auch so eine Gewohnheit, die ich mir in den letzten Wochen zu eigen gemacht habe. Anfangs, weil es mich beruhigte, empfinde ich es mittlerweile als den perfekten Ort, Leute ungestört zu beobachten. Denn wer schaut schon nach oben?

In der Nähe meines Hochsitzes erspähe ich eine Person, die nicht so recht in die besinnliche Ruhe der Umgebung passen mag. Mit Rüschenrock und Jacke in Metallicblau sieht sie eher aus, als würde sie auf eine Abendveranstaltung oder eine Party warten. Aber ist ja grad nicht. Stattdessen frönt sie ihrer Tanzlaune auf einer grasbewachsenen Lichtung: zu „Lambada“, das Bier in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand.

Ein vorbeispazierender alter Mann scheint nicht recht zu wissen, was ihm befremdlicher vorkommen soll: die rauchende Tänzerin oder die verschwitzte Frau auf dem Baum, die ihr dabei zusieht.

Kurz darauf lasse ich von meiner voyeuristischen Tätigkeit ab und jogge weiter. Vorbei an den Wildgehegen bis zum Festplatz, der nun auch vorübergehend geschlossen bleibt. Bei dem Gedanken an den nahen Flughafen überkommt mich Wehmut – erst heute wurde mein Rückflug gestrichen.

Zurück komme ich an der Kleingartenkolonie „Quartier Napoleon“ vorbei. Haus an Haus reiht sich hier. Es riecht nach Rindenmulch und undefinierbaren Frühlingsblumen. In einem der Gärten weht – ich kann es kaum glauben – eine weiß-grüne ­Fahne mit dem steirischen Panter darauf. Ein kleines Stück Heimat finde ich nun doch – hier fernab in den Rehbergen.

Sophia Zessnik