Corona und gescheiterter Protest: „Wollen, dass Debatte weitergeht“

Zwei Aktivistinnen wollten sich dafür einsetzen, dass Menschen von den griechischen Inseln evakuiert werden. Die Aktion wurde umgehend aufgelöst.

Mit dem Pappflugzeug zu zweit vor dem Bundeskanzeramt: in Corona-Zeiten verboten Foto: privat

taz: Frau Aubart, Frau Pankoke, was hatten Sie als Protest gegen die Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln geplant?

Helena Aubart: Wir haben bei uns im Garten ein vier Meter langes Flugzeug aus einem Holz-Drahtkonstrukt vorbereitet. Das wollten wir heute morgen (Donnerstag, 2. April) vor das Kanzler*innenamt stellen und mit Gipslaken überziehen. Damit wollten wir visualisieren, was politische Organisationen und Gruppen wie Mission Lifeline und Seebrücke seit langem fordern: Die Lager auf Lesbos müssen sofort aufgelöst werden, denn die Bedingungen dort sind schrecklich, und die Menschen müssen evakuiert werden. Nicht nur wegen Corona.

Der Aktionstag war von 9 bis 18 Uhr geplant, die Polizei hat die Aktion dann aber bereits am Dienstagmorgen abgebrochen. Was ist passiert?

Aubart: Wir waren gerade dabei, unser Holzkonstrukt auf der Wiese vor dem Bundeskanzlerinnenamt aufzubauen. Ein Polizist kam und hat gefragt, was wir machen, wir haben ihm gesagt, dass wir nur zu zweit sind und auch den Abstand einhalten. Er meinte, wir müssten uns bei zuständigen Polizeidirektion melden, denn wenn wir jetzt zu zweit unangekündigt mit dem Bollerwagen unser Holzflugzeug auf die Wiese fahren, würde sofort die Bundespolizei kommen.

Helena Aubart, geboren 1992, ist Sozialarbeiterin und studiert derzeit Politikwissenschaft. Nicole Pankoke, geboren 1989, ist Sozialwissenschaftlerin. Zusammen haben sie den Aktionstag unter dem Motto #leavenoonebehind am 2. April geplant.

Nicole Pankoke: Der Polizist am Telefon hat uns die Aktion dann verboten und und meinte auch, dass uns ein Bußgeld im vier- bis fünfstelligen Bereich drohe, wenn wir weitermachen. Daraufhin hat der erste Polizist vor Ort unsere Personalien aufgenommen. Wir haben unsere Sachen zusammengepackt und sind gegangen.

Wie hat die Polizei das Verbot begründet?

Pankoke: Die Polizei hat uns gesagt, dass Politik und Kunst gerade in keinster Weise erlaubt seien, weil künstlerische oder politische Aktionen die Leute dazu bringen, anzuhalten und zu gucken. Daher sei nun jede Form von Bewegung im Freien mit einer politischen Motivation nicht mehr erlaubt. Auch jegliches Objekt, das mit politischem Hintergrund abgelegt wird, sei verboten.

Sie hatten dazu aufgerufen, sich am Protesttag zu beteiligen.

Die Seebrücke ruft für Sonntag, 5. April unter dem Motto „Wir hinterlassen Spuren“ dazu auf, farbige Fußabdrücke und leere Schuhe an den Orten zu hinterlassen, wo gerade darüber darüber entschieden wird, ob die Menschen auf den Inseln ihrem Schicksal überlassen werden oder nicht. (taz)

Pankoke: Wir hatten vorgeschlagen, Flugzeuge aus Papier und Pappe zu basteln und die eigenen Forderungen darauf zu schreiben. Wir hatten aber extra darum gebeten, die Flugzeuge bei unserer Protestaktion vor dem Kanzler*innenamt einfach abzulegen und weiterzugehen, um die derzeitigen Einschränkungen wegen der Corona-Krise einzuhalten. Jetzt haben wir unsere Unterstützer*innen über die sozialen Medien dazu aufgerufen, vorsichtig zu sein.

Was werden Sie nun tun?

Pankoke: Wir werden alle Parteien anschreiben, es geht nicht, dass uns jegliche Form von Engagement und politischer Äußerung untersagt ist. Wir beraten uns gerade, wie wir uns sonst gerichtlich eine Erlaubnis erstreiten können.

Was war denn der Anstoß für ihren Aktionstag?

Aubart: Die Fülle der schlimmen Nachrichten. Auf Lesbos wurden die NGOs abgezogen, es ist kaum noch medizinisches Personal vor Ort, das Trinkwasser ist knapp. Die griechische Regierung hat Schilder aufgehängt, dass die Menschen Abstand halten und sich regelmäßig die Hände waschen sollen. Aber das ist dort gar nicht umsetzbar.

Pankoke: Wir wollen, dass die Debatte weitergeht. Wir haben den Eindruck, dass die Corona-Krise gerade die ganze mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht, und es ist unbefriedigend für uns, zu Hause zu bleiben in unserer recht privilegierten Position und nichts gegen die grausame Abschottungspolitik zu tun. Deshalb haben wir uns überlegt, wie wir trotz der gesetzlichen Einschränkungen solidarisch sein können mit Menschen in dieser desaströsen Lage auf den Inseln.

Trotz Absichtsbekundungen aus der Politik tut sich bisher nichts. Hoffnung, dass da noch etwas in Bewegung reinkommt?

Aubart: Dass Mission Lifeline in kürzester Zeit genug Spenden für einen Charterflug zusammenbekommen hat, und dass mehr als 140 Kommunen, Städte und Länder zugesagt haben, Menschen aufzunehmen, zeigt doch die Unterstützung und Zustimmung in der Gesellschaft. Jetzt fehlt nur noch die Zustimmung der Bundesregierung zu einer Start- und Landeerlaubnis. Da muss sich jetzt was bewegen. Dass innerhalb weniger Tage mehr als 170.000 Urlauber*innen nach Deutschland zurückgeholt werden konnten, zeigt, dass die Politik sehr wohl in der Lage wäre, in kürzester Zeit die Geflüchteten auf Lesbos aus ihrer unerträglichen Situation zu befreien. Deshalb machen wir auf verschiedenen Wegen Druck.

Wie geht der Protest weiter?

Pankoke: Wir hatten am Montag zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen und das ist zu einem Selbstläufer geworden. In mehr als 15 Städten bauen Gruppen Flugzeuge und wollen sie vor die jeweiligen Rathäuser stellen. Einige Unterstützer*innen haben schon gefragt, ob wir jetzt jeden Donnerstag Flugzeuge bauen wollen. Dazu können wir jetzt noch nichts sagen. Unsere Aktion ist nur eine unter vielen, auch im Netz ist der Protest stark und die Seebrücke hatte für Sonntag eine Aktion geplant. Wir werden nun alle Fotos von Flugzeugen und unsere Forderungen an die Bundesregierung schicken. Denn die muss nun schnell handeln.

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