Medienkritik von Christian Drosten: „Die Medien“? Ja, leider „die“

Virologe Drosten hat scharfe Kritik geübt, sprach von einer Öffentlichkeit „jenseits der Vernunft“. Das ist zu hart – doch muss man es ernst nehmen.

Christian Drosten

Christian Drosten übt Kritik an den Medien Foto: Michael Kappeler/reuters

Wie konnte das denn passieren? Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité und gegenwärtig berühmtester Erklärer Deutschlands, hat Medienkritik geübt und laut über einen „geordneten Rückzug“ der Wissenschaft aus den Medien nachgedacht. Wissenschaftler würden überzeichnet, in verzerrter Weise als Entscheidungsträger dargestellt, in Text und Bild karikiert. „Mir wird schlecht dabei“, sagte Drosten am Montag in seinem NDR-Podcast. Er habe deshalb Interviews gemieden.

Drosten avancierte mit plötzlicher Wucht durch seinen Podcast zum Coronavirus zum Cheferklärer von übermenschlicher Wissensautorität. Und bekommt deshalb nun mitunter Hassmails, wie er sagt. Und sagt darum jetzt, wir bewegten uns bereits „jenseits der Vernunft in dieser mediengeführten Öffentlichkeit“.

Man könnte entgegnen: Hier spricht der Schock einer Wissenschaft, die üblicherweise nicht gezwungen ist, sich permanent der breiten Öffentlichkeit zu erklären, zudem arg verkürzt und garantiert falsch verstanden. Und man könnte anführen, dass ja dieser „Die Medien“-Stuss auch nicht weiterhilft. Oder: Man könnte aus diesem Chef-Ausraster etwas lernen.

Über zwei verhakte strukturelle Probleme: journalistische Personenfixierung bei mangelndem Fürsorgewillen. Heißt: Alles wird an großen Namen, schönen oder interessanten Gesichtern festgemacht. Schon klar, macht man so, weil wiederum die Leser*innen und Zuschauer*innen auf vermenschlichte News gut anspringen. Heißt aber auch, dass sich Redaktionen bewusst sein müssen, welcher Belastung sie diejenigen aussetzen, die sie ins Rampenlicht schieben. Dass die Konsequenzen sicher sind: Hassmails am Wochenende.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Und dann fehlt die Fürsorge. Warum muss ein Sender einen Herrn Drosten täglich am Mikro verheizen? Es gibt noch andere Virolog*innen in Deutschland, die dasselbe Wissen haben. Warum wird der Mann prioritär zitiert? Selbst auf eine Presseanfrage der taz diese Woche kam als Antwort von der einen Gesundheitsbehörde, man solle Drosten fragen. Hat der Rest des Landes verlernt, Fragen zu beantworten?

Es geht nicht um Drosten, der wird das schon packen. Es geht um all die Menschen, die von „den Medien“ regelmäßig notwendigerweise ins Rampenlicht einer unbarmherzigen Öffentlichkeit positioniert werden. Oft Menschen mit schlechterem Standing als ein Chefvirologe. Wer sorgt dafür, dass diese Leute es verkraften? Ist das unsere Aufgabe, als eine „der Medien“? Wessen sonst?

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