Am Fenster
: Nachrichten aus der Elternhölle

Die Corona-Krise macht uns zu Zaungästen des Lebens. Wir können es vom Fenster aus verfolgen, doch es drängt auch durchs Fenster zu uns herein – und sei es via Bildschirm. Eine Kolumne über das Dasein auf Distanz.

Siebenunzwanzig E-Mails habe ich seit Beginn der Corontäne von den Lehrern meines ältesten Sohnes erhalten. Die Lehrerin meines Jüngsten verschickt Wochenpläne über Whatsapp, was einen derartigen Rattenschwanz an „Hä?“ oder „Danke, bleiben Sie gesund“-Antworten auslöst, dass ich die Ursprungsnachrichten nicht mehr zählen kann.

Home Schooling besteht bei uns vor allem darin, unfassbare Mengen an Arbeitsblättern auszudrucken und sich zwischendurch zu fragen, wann zum Teufel man seine eigene Arbeit eigentlich erledigen soll.

Manchmal schaue ich mir – nur so zum Spaß – Berichte aus fortschrittlichen Ländern an, wo Schüler an Laptops sitzen, im Videochat unterrichtet werden, Nachfragen direkt an den Lehrer stellen können, Dokumente gemeinsam bearbeiten und hochladen.

Ich würde zu gerne einmal ausrechnen, wie viel Geld hier jedes einzelne Bundesland in den vergangenen Jahren in die Entwicklung von Lernplattformen gesteckt hat, die jetzt nicht funktionieren – aber das schaffe ich zwischen den Matheaufgaben eines Drittklässlers und denen eines Fünftklässlers ja nun nicht auch noch.

Die Zeit reicht ohnehin nie, ich weiß nicht, was dieses ganze Entschleunigungsgefasel soll. Auf Whatsapp kann ich sehen, dass die L. schon das Kunstprojekt ihres Sohnes fertig gebastelt hat, die M. schickt Bilder von der Sportstunde im Wohnzimmer und bei N.s werden die Wochenberichte mit farbigen Ornamenten verziert! Zwischendurch machen sie noch einen kleinen Spaziergang in der Sonne, wo die sehr hübschen Kinder sehr instagramtauglich auf einem Findling drapiert werden.

Auf Twitter beschwert sich derweil die V., dass ihr Kind doch so diszipliniert und fleißig sei, aber gar keine Noten dafür kriegen soll – nur weil anderer Leute Asi-Kinder vor der Playstation hängen.

Ich kämpfe mit dem siebten Papierstau im Drucker und einem nervösen Zucken unter dem linken Auge. Meine Kinder tragen zu kurze Jogginghosen, zu lange Haare und watscheln alle zehn Minuten über den klebrigen Küchenfußboden, um auf dem Stundenplan am Kühlschrank zu gucken, ob die vereinbarte Lernzeit wirklich immer noch nicht vorbei ist und sie sich wieder ihren Youtube-Videos zuwenden können.

„Was machen wir heute Abend, Mama?“, fragt jetzt einer. „Fernsehen“, sage ich bockig. „Bud Spencer. Bei Pizza und Schokoeis. Aber vorher“ – ich hebe Fräulein-Rottenmeierhaft den Zeigefinger – „machen wir noch Englisch!“ Am besten mit dem Songtext von Chip Taylers „Fuck all the perfect people“. Nadine Conti