Weniger Patient*innen in der Notaufnahme: Angst vor dem Virus in der Klinik

Ärzt*innen fürchten, dass Menschen aus Angst vor einer Corona-Infektion wichtige Behandlungen vermeiden. Notaufnahmen sind deutlich leerer als sonst.

Der Eingang des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

In der Notaufnahme ist es derzeit ruhiger als sonst: Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Foto: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Die Notaufnahmen einiger Krankenhäuser sind derzeit offenbar verdächtig leer. Ärzt*innen befürchten deshalb, dass sich Menschen, die unabhängig von der Pandemie krank werden, aus Angst vor einer Corona-Infektion keine Hilfe im Krankenhaus suchen und sich damit in Lebensgefahr begeben.

Am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) beispielsweise verzeichnet die Notaufnahme derzeit mehr als 50 Prozent weniger Fälle als normalerweise, wie dessen Leiter Ulrich Mayer-Runge sagt. So sei die Zahl derer zurückgegangen, die bisher trotz weniger dringender Beschwerden in die Notaufnahme kamen. Es gebe auch deutlich weniger unfallchirurgische Notfälle, also Patient*innen, die beispielsweise einen Autounfall hatten.

Zudem kämen weniger ältere Menschen mit typischen Problemen wie Harnwegsinfekten oder mangelnder Flüssigkeitsaufnahme in die Notaufnahme, sagt Mayer-Runge. Dies gelte auch für Menschen mit chronischen Krankheiten, die sich akut verschlechtert hätten. Derzeit würden in den Kliniken zwar noch nicht vermehrt Menschen behandelt, die eine notwendige Therapie hinausgezögert hätten, „jedoch rechnen wir in den kommenden Wochen damit, spätestens bei einem deutlichen Abflauen der Corona-Erkrankungen.“

Auch die Zahl der Herzinfarkt-Patient*innen hat am UKE abgenommen. „Wir behandeln normalerweise jeden Tag zwei bis vier Patienten mit einem Herzinfarkt“, sagt Stefan Blankenberg, Klinikdirektor des Herzzentrums. „Im Moment ist es etwa jeden zweiten Tag einer, maximal zwei.“ In den letzten Tagen bis Wochen habe das Herzzentrum 60 bis 70 Prozent weniger Patient*innen aus der Notaufnahme übernommen.

Stefan Blankenberg, Klinikdirektor des Herzzentrums am UKE

„Es fügt sich ein Bild zusammen, das mich extrem sorgenvoll stimmt“

„Es fügt sich ein Bild zusammen, das mich extrem sorgenvoll stimmt“, sagt Blankenberg. Bei Herzkrankheiten steige das Risiko, je länger eine Therapie abgewartet werde.

Der Direktor der Klinik für Neurologie am UKE, Christian Gerloff, berichtet, dass vor allem Patient*innen mit vorübergehenden Symptomen eines Schlaganfalls oder mit leichteren Schlaganfällen derzeit seltener seien. „Dabei haben diese Patienten viel zu verlieren, da vorübergehende oder leichte Symptome Vorboten eines schwereren Schlaganfalls sein können“, sagt Gerloff.

Die Ärzt*innen des UKE teilen ihre Sorge mit Mediziner*innen der Hamburger Asklepios Kliniken. „Wir haben weniger Patienten mit Schlaganfall, mit Herzinfarkt oder Beschwerden, bei denen dann in der Klärung der Ursache eine Tumorerkrankung festgestellt wird“, sagt Dirk Arnold, Ärztlicher Leiter des dortigen Tumorzentrums.

Dass diese Krankheiten plötzlich einfach weniger würden, sei unwahrscheinlich. „Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass Menschen zu Hause bleiben und eventuelle Beschwerden einfach aussitzen“, sagt Arnold. „Das ist fatal, Krankheiten lassen sich nicht aussitzen.“

Es werde immer abgewogen, ob eine Therapie verschiebbar sei oder nicht, sagt Arnold. „Die wichtigste Frage dabei ist: Verändert sich die Prognose, wenn eine Behandlung um zwei oder drei Monate verschoben wird.“ Arnold glaubt, dass die rückläufigen Patient*innenzahlen auf Angst zurückzuführen sind. „Das ist zum einen die Angst vor einer eigenen Infektion, andererseits vielleicht auch die Angst in so katastrophale Zustände zu kommen, wie man sie im Fernsehen aus New York oder Italien sieht“, sagt er.

Über solche Ängste berichten auch Beratungsstellen. Die Patientenberatung Hamburg erhält nach Angaben einer Sprecherin der Ärztekammer, die das Angebot gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung betreibt, vermehrt „Anfragen von Patient*innen, die sich fragen, ob sie eine vorgesehene Behandlung absagen oder verschieben sollen“. Dabei gehe es meist um Behandlungen, die auch später durchgeführt werden könnten.

„Viele sagen, sie hätten Angst vor einer Ansteckung“, sagt die Sprecherin. „Manche äußern auch die Sorge, dass die Versorgung im Krankenhaus oder danach nicht sichergestellt sein könnte, weil Kapazitäten für Corona-Patient*innen freigehalten werden müssen.“

Dass sich auch umgekehrt Menschen melden, bei denen das Krankenhaus eine Behandlung abgesagt hat, und die Patient*innen deshalb unglücklich seien, weil sie sich fragten, ob diese nicht trotzdem wichtig sei, berichtet Miriam Mailahn, Ärztin bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).

Bei Symptomen unbedingt Hilfe suchen

Menschen mit klaren Hinweisen auf Notfälle wie Brustschmerzen würden sich selten bei der UPD melden. Doch auch sie bestätigt, dass Anrufer*innen beim Gang in die Klinik zögern: Beispielsweise habe eine Frau angerufen, die gestürzt war und starke Schmerzen gehabt habe. „Sie wollte aber nicht ins Krankenhaus, aus Angst, sich mit Corona zu infizieren“, sagt Mailahn. „Auch Angehörige melden sich, weil ihre Verwandten starke Beschwerden haben, aber wegen Corona nicht ins Krankenhaus wollen.“ Die UPD rate den Menschen, sich wie sonst auch schnell ärztliche Hilfe zu suchen, wenn sie das Gefühl haben, ein Notfall zu sein.

Und auch die Klinikärzte betonen, dass die Versorgung von Patient*innen ohne Corona gewährleistet sei, und appellieren an die Menschen, sich bei entsprechenden Symptomen unbedingt Hilfe zu holen und behandeln zu lassen.

„In der Klinik sind sämtliche Vorkehrungen getroffen, um Patienten vor einer Infektion zu schützen“, sagt Arnold aus der Asklepios Klinik. Auch UKE-Arzt Blankenberg meint, man brauche keine Angst zu haben, sich im Herzzentrum mit Corona anzustecken. Die Versorgung von Covid-Patient*innen erfolge räumlich getrennt.

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