Bestatter fordern mehr Schutzausrüstung: Erhöhtes Infektionsrisiko

Bei medizinischen Schutzmaterialien stehen Bestatter bisher hinten an. Ein Unternehmen bei Hannover hat deshalb Kurzarbeit angedroht.

Ein Mitarbeiter mit Mundschutz sortiert Särge.

Überall viele Tote: Ein Bestatter in Lausanne am 5. April beim Sortieren von Särgen Foto: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa

HANNOVER taz | Bernd Henschel denkt und plant gern weit im Voraus. Der Bestatter aus Garbsen in der Region Hannover führt das größte Beerdigungsinstitut im Ort, mit zwei Niederlassungen, zehn Angestellten und einem Einzugsbereich, der auch die angrenzenden Ortschaften umfasst.

Die Verhältnisse in Italien haben ihn aufgeschreckt, der Anblick von Militärlastern, die nachts die Särge abtransportieren, weil die Krematorien und Friedhöfe überlastet sind. Er wollte gewappnet sein. So hat er es zumindest der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erzählt.

Frühzeitig bestellte er zusätzliche Särge, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel, Transportkapazitäten für die Überführung. Dann wollte er mit der Stadtverwaltung, den Gemeinden, dem Ordnungsamt und weiteren ins Gespräch kommen, wie es denn laufen soll, in Zeiten von steigenden Corona-Totenzahlen.

Immerhin gibt es da eine ganze Reihe potenzieller Nadelöhre: Die Kapazitäten bei Kühlräumen und Krematorien, aber auch bei Standesämtern und Sozialämtern, wenn es darum geht, die notwendigen Bescheinigungen zu erhalten oder Kostenübernahmen zu beantragen. Doch die zuständigen Stellen winkten ab.

Die Bedingungen sind überall unterschiedlich

Es sei möglicherweise auch einfach ein bisschen viel, von den Städten und Gemeinden zu erwarten, dass sie für jedes mögliche Szenario jetzt schon eine Antwort hätten, sagt der Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, Thorsten Bullerdiek, auf taz-Anfrage. Dazu kommt: Die Bedingungen sind vor Ort extrem unterschiedlich, allgemeine Empfehlungen kaum sinnvoll.

Dass Henschel seine Kritik öffentlich machte, sogar drohte, Kurzarbeit zu beantragen, weil er es bald nicht mehr verantworten könne, seine Mitarbeiter dem Infektionsrisiko auszusetzen, kam nicht überall gut an, heißt es aus der Stadt.

Henschel selbst möchte sich am Montag auch nicht weiter dazu einlassen. „Wir arbeiten so lange wir können und so lange das Material reicht“, lässt das Familienunternehmen verlauten.

Die Kritik daran, dass die Bestatter bei der Beschaffung von Desinfektionsmitteln, Masken und Schutzkleidung allein gelassen werden, wiederholt der Bundesverband der Deutschen Bestatter allerdings schon seit Wochen gebetsmühlenartig. Bei der derzeitigen Versorgungslage heißt das vor allem, dass die – meist mittelständischen Unternehmen – horrende Preise zahlen müssen und häufig leer ausgehen, weil staatliche Großabnehmer die Bestände aufkaufen und bevorzugt an medizinische Einrichtungen verteilen.

Bestatter sind nicht „systemrelevant“

Der Verband fordert deshalb, die Bestatter in allen Bundesländern zu den systemrelevanten Berufen zu zählen – damit hätten sie Anspruch auf Notbetreuung und würden bei der Zuteilung von Schutzmaterialien berücksichtigt. Bisher ist das nur in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen der Fall.

Auch mit den uneinheitlichen Regeln für Trauerfeiern und Beerdigungen je nach Bundesland hadert die Vertretung der Bestatter. Zumal diese Regelungen dann oft von den kirchlichen oder städtischen Friedhofsverwaltungen auch noch unterschiedlich ausgelegt werden.

So variiert die Anzahl an Personen, die als „engster Familienkreis“ überhaupt noch teilnehmen dürfen. Mancherorts sind die Kapellen offen, solange die Trauernden weit genug auseinander sitzen, anderswo gibt es nur noch Bestattungen unter freiem Himmel.

Psychosoziale Schäden zählen nicht

Die Bremer Bestatterin Cordula Caspary glaubt, dass hier der viel größere Schaden angerichtet wird: „Trauerprozesse lassen sich nicht einfach aufschieben“, mahnt sie. Die psychosozialen und wirtschaftlichen Folgekosten seien immens, nicht gelebte Trauer eine der Hauptursachen für Depressionen. „Ich weiß nicht, wie wir das je wiedergutmachen wollen, was wir hier gerade anrichten.“ Viele Detailvorschriften, wie etwa das Verbot, die Urne oder den Sarg durch Angehörige tragen zu lassen, seien vollkommen übertrieben und geradezu hysterisch, glaubt sie.

Immerhin wüsste man ja nicht einmal genau, wie lange der Virus in oder auf dem Leichnam noch lebt. „Bei Lebenden geht man davon aus, dass so ab fünf Minuten im direkten Gespräch eine Virenlast erreicht ist, die eine Ansteckung wahrscheinlich macht. Aber beim Umbetten eines Verstorbenen soll das minimale Entweichen von ein paar Gasen oder ein bisschen Rachenflüssigkeit ausreichen?“ Nein, sagt sie, sie brauche nicht mehr Schutz und Hygiene als sonst auch. Aber Trauernde bräuchten Mitgefühl und eine Umarmung – Corona hin- oder her.

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