Berliner Kultur im Corona-Exil: Kultur ist die beste Impfung

Während sich die Mehrheit noch hypnotisieren lässt vom Krisen-Gerede, machen Berlins Kulturszenen ernst und explodieren vor Kreativität.

Ein großes Banner, das über dem Haupteingang des Berliner HAU-Theaters hängt, zeigt den Slogan "Collectivize Facebook"

Unter „Collectivize Facebook“ wollen Jonas Staal und Jan Fermon die Plattform sozialisieren Foto: André Wunstorf

Ohne Isolation ist keine Kreativität möglich. Hat irgendein deutscher Autor, der sonst eher für dröge Literatur bekannt ist, mal geschrieben. Ein Satz, der irgendwie Hoffnung macht in diesen Tagen des ja nicht nur biopolitischen, sondern vor allem auch sozialen, politischen, ökonomischen und ja, vor allem kulturellen „Ausnahmezustands“.

Und vielleicht können wir uns gerade in der kulturellen Petrischale Berlin schon bald freuen auf eine Explosion kreativen Schaffens. Naja, zumindest, wenn die Menschen nicht allzu preußisch an ihrer üblichen Stress-Choreographie festhalten und ihre Home-Office-Zeit mit schlechten Kopien ihrer Office-Office-Zeit verdingen, als hätte diese Art des High-Speed-Kapitalismus in Kombination mit Lohnarbeitszwang noch irgendeine Chance.

Als sei es nicht endlich an der Zeit, sich angesichts dieser weltweiten Zwangsverlangsamung des Lebens schonmal darauf vorzubereiten, die routinierte Beziehung zur so genannten Work-Life-Balance radikal zu ändern, um sich neuen Lebensweisen zu öffnen.

Das mag idealistisches Geschwätz sein, aber was bleibt derzeit anderes übrig? Innerhalb der Berliner Kulturszene jedenfalls scheint diese Frage obsolet zu sein, hat doch die Isolation unter ihnen schon jetzt eine kreative Explosion ausgelöst. So überbieten sich Berlins Musiker:innen, Autor:innen, Künstler:innen, Kulturschaffende, aber auch die Theater, Clubs und Museen mit Online-Angeboten, die das neue, ungewohnte, brutal einsame Dasein als vereinzeltes, in familiären, wahl-familiären oder wohngemeinschaftlichen Kleingruppen zusammengepferchtes Leben derzeit erträglich machen.

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Das legendäre Berliner Theater „Thikwa“ etwa hat seinen Betrieb spontan umbenannt in „Couch-Theater“ und zeigt nun etliche „Thikwa Classics“ im eigenen Video-Kanal, etwa das gefeierte wie provokante Stück „Dschingis Khan“ von 2012, wo sich die drei Schauspieler mit Trisomie 21, deren Beeinträchtigung früher oft pejorativ als „mongoloid“ bezeichnet wurde, mit schweren Fellen bekleidet als „authentische Mongolen“ präsentieren.

Solidarität ist mehr als nur klatschen

Geradezu unauthentisch, also das Künstliche umarmend, ist das vom HAU-Theater präsentierte Festival “Spy on Me #2“, das in dieser Woche vom internationalen Netzwerk „dgtl fmnsm“ bespielt wird. „Hot Mess“ hinterfragt in Panels, Performances und Workshops die Chancen des Digitalen jenseits binärer Denkweisen und diesseits von Algorithmen, die intersektional und feministisch programmiert sind. So diskutieren am Freitag, 27.3., um 18.30 Uhr etwa Nakeema Stefflbauer, Gründer:in von „FrauenLoop gUG“, eine Berliner NGO zum Coaching von Geflüchteten und Migrant:innen in Tech-Berufen mit der Interaktions-Designer:in Nushin Yazdani zum Thema „Future Tense: AI From the Margins“.

Während hier also Algorithmen sowas wie digitale Solidarität einprogrammiert werden soll, geht es derzeit ja auch im Real Life oft um diesen Begriff, der allerdings ganz unterschiedlich verwendet wird. Etwa als sich moralisch überlegen fühlende Allzweckwaffe, die besonders jene von den Dächern schreien, die sich ausruhen auf ihrer Überidentifikation mit der „Krise“, indem sie in ihren gemütlichen Altbauwohnungen brav Gehorsam praktizieren, und alle diffamieren, die vielleicht Angst haben vor ihrem Zuhause, denen es dort zu eng ist oder die nicht mal eines haben.

Oder als eine Art Gewissensberuhigung, wenn etwa die Mitarbeiter:innen von Supermärkten sowie die Krankenpfleger:innen und Ärzt:innen beklatscht werden, während jedoch alle vergessen werden, die Solidarität nicht erst jetzt benötigen: Obdachlose und Straßenkinder, unter denen allein in Berlin Tausende zur besonders gefährdeten Risikogruppe gehören.

Zur Eindämmung der Corona Pandemie unter ihnen hat sich kurzerhand die „Coruna- taskforce berlin“ gegründet. Weil gerade sogar die Suppenküchen schließen müssen, ist die beste Hilfe Bargeld. Deshalb zahlen die „Karuna-Obdachlosenlotsen“ täglich 10 Euro direkt an Betroffene aus und dafür werden Spenden benötigt, die hier gesammelt werden.

Semiotischer Virus

Eine weitere, weniger öffentlichkeitswirksame Dimension von Solidarität ist nötig für die oben genannte Akteur:innen, die ebenfalls akute Finanzhilfe benötigen, weil ihre Inhalte fast ausnahmslos kostenlos sind und sie etwa wegen ausfallender Gigs, Vorführungen und Ausstellungen keine Möglichkeit haben, Honorare zu bekommen. Ähnlich geht es den Clubs und Kneipen.

Neben den wichtigen, da sozial wie musikalisch hochdiversen Clubs “Schwuz“ und “Aboutblank“ bitten etwa die Kollektivkneipen “Tristeza“, “K-fetisch“, “B-Lage“ um Spenden auf Crowdfunding-Plattformen. Für alle anderen, etwa Musiker:innen ist die wohl beste Unterstützung derzeit, ihre Werke auf Bandcamp zu kaufen, einer im Vergleich zu Ausbeutern wie Spotify recht fairen Plattform, auf der sie den Großteil der Erlöse selbst erhalten – und für sie selbst die wohl am 27. 3. startende Beantragung für staatliche Förderung.

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Kritischen Köpfen sei zu guter Letzt noch der nun regelmäßig erscheinende Podcast „Plague Pod“ vom kongenialen britischen Verlag „Urbanomic“ empfohlen, in dem Künstler:innen und Philosoph:innen wie Laura Tripaldi, die Xeno-Dichterin Amy Ireland, Reza Negarestani oder der “Xenogothic“-Blogger Matt Colquhoun kontrovers über spekulative Virologie, Herd-Immunität und Ernährungssicherheit diskutieren, stets stilsicher unterbrochen von aktuellen Tracks aus dem Bereich Grime, Jungle und Footwork oder, besonders wichtig derzeit: Sprach-Samples aus kritischer Theorie.

Denn eines ist „Corona“ vor allem auch: er ist nicht nur ein biologischer, sondern auch ein affektiver oder besser: semiotischer Virus, der sich am liebsten über das ständige paranoide Sprechen über ihn überträgt. Sowohl in den traditionellen als auch Sozialen Medien. Dabei haben Menschen in der Isolation doch gerade Besseres zu tun als die ermüdende Reproduktion von Stress. Nämlich Kunst produzieren – die vielleicht wirksamste Impfung.

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