Kleinunternehmen in der Not: Individualität ist systemrelevant

Manche Kleinunternehmer fallen bei den Rettungspaketen durchs Raster. Krisen-Gewinner könnten Systemgastronomie und Ketten sein.

Eine leere geschlossenen Kneipe.

Nur noch ein Schatten auf dem Restauranttisch, keine Gäste mehr Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

HAMBURG taz | Sie betreibt ihre Kneipe seit 18 Jahren. Früher ging es hier um Bier und Fußball, inzwischen hat sie einen festen Platz im Leben des lebendigen Hamburger Stadtteils. 15 Beschäftigte in Voll- und Teilzeit versorgen die Gäste mit einfachen, aber hochwertigen Gerichten, ganz billig ist es nicht, aber gut. Früher saßen hier Pärchen in den Ecken oder im ersten Stock, an den größeren Tischen trafen sich Freundinnen und Nachbarn zum Teil seit vielen Jahren. Die Kneipenchefin Ina Haller (Name geändert) veranstaltete Lesungen und Ausstellungen – nicht weil das etwas einbringt, es ist ihre Leidenschaft.

Jetzt sieht es nicht mehr gut aus für diesen Ort der Begegnung und des Gesprächs. Der Umsatz im März ist eingebrochen, 16.000 statt 46.000 Euro, für April und Mai ist mit Komplettausfall zu rechnen. Die Fixkosten liegen bei 10.000 Euro monatlich, ohne Löhne. Rücklagen sind nicht vorhanden, dafür war das Konzept bisher schon zu knapp auf Kante genäht.

Die große Frage ist: Rettet sie der Staat? Wie geht der lebendige Stadtteil mit seinen Gaststätten, Buchläden, Nähereien, Ballettschulen, Möbelgeschäften, aus der Krise hervor? Was wird aus all den Unternehmen, die auf der Grenzlinie zwischen Kreativität, Originalität und Rentabilität balancieren?

Am Montag hat Ina Haller einen Antrag auf „Corona-Soforthilfe“ gestellt. Für Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten beträgt das staatliche Hilfsgeld 20.000 Euro, 5.000 davon steuert die Stadt Hamburg bei. Zurückgezahlt werden muss es nicht. Das hilft bis Anfang Mai. Dann müsste sie einen Kredit aufnehmen. Mit den zinslosen Coronakrediten der staatlichen KFW-Bank kann sie dabei nicht rechnen, bei der dafür notwendigen „Bonitätsprüfung“ hat sie keine Chance. Die letzte Renovierung ist noch nicht abbezahlt, Anfang des Jahres musste sie 7.000 Euro für die vom Finanzamt vorgeschriebene neue Kasse aufbringen, die die Steuerdaten direkt übermittelt, die alte Kasse steht jetzt im Keller. Anfang Mai wäre Schluss.

Weniger betriebswirtschaftliches Kalkül

In der Krise wird sichtbar, was GaststättenbesucherInnen sonst nicht sehen: dass die Vielfalt und Originalität ihrer Lieblingsorte weniger auf betriebswirtschaftlichem Kalkül basiert als auf der Individualität und Leidenschaft derer, die sie betreiben. Und, natürlich, auf sehr ärmlicher Bezahlung der Beschäftigten, die in der Krise noch ärmlicher wird – das Kurzarbeitergeld von 60 Prozent des Nettogehaltes ignoriert die Trinkgelder, die in der Gastronomie selbstverständlich zum Gehalt gerechnet werden.

Den meisten, die ihr Geld nicht als Angestellte, sondern als Selbstständige verdienen möchten, geht es ähnlich. Frisörgeschäfte, Hotels, kleine Elektronikläden, Start-ups aller Art – alles, was persönlich und originell ist, nicht Kette, nicht Franchise, nicht zentral gesteuert. Ein Teil der Wirtschaft übrigens, der seine Steuern garantiert bezahlt. Die Bonität ist dort sehr begrenzt. Auch das wird in der Krise spürbar.

Das aktuelle Problem ist nicht ein Mangel an Geld – das Problem ist die Verteilung

Das milliardenschwere Hilfspaket der Bundesregierung kann sich sehen lassen, und die Länder legen weitere Milliarden drauf. Das aktuelle Problem ist also nicht ein Mangel an Geld – das Problem ist die Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit seiner Verteilung.

Einen einfachen und unbürokratischen Weg geht dabei die Schweiz. Dort werden zinslose Kredite bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes beziehungsweise 500.000 Schweizer Franken vom Staat abgesichert und können deshalb innerhalb weniger Tage ohne Bonitätsprüfung ausgezahlt werden.

Das Verfahren ist hochflexibel – der Staat kann sogar nachträglich noch entscheiden, größere Anteile der Kredite als Zuschuss zu vergeben. Die zinslosen Kredite kosten ihn nichts, im Gegenteil, seine Anleihen werden auf dem Kapitalmarkt mit –0,4 Prozent verzinst. Er macht also Gewinn, der als Leistungsgebühr an die Banken gehen könnte.

Vorteil Zeitgewinn

Vorteil bei so einem Vorgehen ist der Zeitgewinn. Der Unternehmensberater und Payback-Gründer Alexander Rittweger empfiehlt es daher auch für Deutschland: „Jedes Unternehmen“, schreibt er in einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche, „auch das kleinste, kann man mit einem Uhrwerk vergleichen. Es ist aufgebaut aus verschiedenen Zahnrädern, die ineinandergreifen. Und wenn jetzt Hunderttausende dieser Unternehmen pleitegehen, liegen Millionen dieser Zahnräder auf dem Boden. Und keiner kann diese Uhrwerke wieder zusammensetzen. Mit dramatischen Folgen für unsere Wirtschaft und unser Zusammenleben.“

Es ginge darum, kleinen und mittleren Unternehmen in der Krise nicht nur einen begrenzten Zuschuss, sondern ausreichend liquide Mittel zinsfrei zur Verfügung zu stellen. Die Ina Hallers könnten so planen, auch über den nächsten Monat hinaus. Und es ginge um ein Signal. Im Moment drohen durch Corona ein Digitalisierungs-, Zentrali­sie­rungs-, Normierungsschub, weiterer Vormarsch von Systemgastronomie und Modeketten. Dagegen ließe sich deutlich machen: Auch Individualität ist systemrelevant.

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