Tour de France soll stattfinden: Volles Risiko

An der Austragung der Tour de France wird noch festgehalten – weil fast die ganze Radsportökonomie von diesem Event abhängt.

Zuschauer feuern Rennfahrer an.

Sommerrennen, früher: Tour-Fans bei einer Bergetappe vergangenes Jahr Foto: Yuzuru Sunada/Belga/dpa

BERLIN taz | Die Ausbreitung des Coronavirus lässt die großen Sportevents wie Dominosteine purzeln. Die Euro 2020 wurde verschoben, Olympia ebenfalls. Wimbledon fällt sogar aus. Nur die Tour de France hält weiter stand. Christian Prudhomme, der Direktor der weltweit wichtigsten Rundfahrt, sagte in dieser Woche französischen Medien: „Wie die Dinge jetzt stehen, wird die Tour de France wie geplant stattfinden.“ Er schränkte zwar ein: „Natürlich hängt alles davon ab, was mit der Covid-19-Pandemie geschieht.“ Und er betonte auch: „In den Worten ‚Tour de France‘ ist ‚Frankreich‘ das wichtigste. Die Gesundheitslage zählt.“ Dann aber schaffte er rhetorisch wieder die Volte, das Großevent des Familienunternehmens Amaury Sport Organisation zu einer systemrelevanten Komponente, ja zu einem Indikator des nationalen Wohlergehens zu adeln: „Sollte die Tour de France nicht stattfinden, bedeutet dies, dass das Land in einer katastrophalen Lage ist.“

Prudhomme ging diese Woche, unmittelbar nach der Absage von Wimble­don, verbal noch weiter in die Offensive. Eine Tour de France als „Geisterrennen“ werde es nicht geben, sagte er. Das ist eine Kehrtwende. Denn Sportministerin Roxana Maracineanu hatte eine Geister-Tour als Möglichkeit in den Raum gestellt. Und viele Radsportunternehmer hatten aufgeatmet. Ihre größte Angst ist, dass die Tour ausfällt. „Die ganze Radsportökonomie hängt daran. Findet die Tour nicht statt, gehen zahlreiche Rennställe kaputt“, erklärte Patrick Lefevere vom belgischen Traditionsrennstall Deceuninck Quick Step.

Diese Sorge ist nicht unbegründet. „Etwa 70 Prozent der Werbereichweite der gesamten Saison erreicht man allein während der drei Wochen Tour. Das gilt für alle Rennställe. Es geht vielleicht auf 60 Prozent herunter, wenn man eine schlechte Tour fährt und nicht so stark in den Medien präsent ist. Oder es kann auf 80 Prozent hochgehen, wenn man eine sehr gute Tour fährt“, schätzt Ralph Denk, Manager des deutschen Rennstalls Bora hansgrohe. Bis zu 80 Prozent des Geldes für Gehälter, für die Rennräder und das Material, für Reisekosten und Verpflegung hängen also direkt vom werberelevanten Fahren durch Frankreich ab.

Eine Tour de France ohne Zuschauer werde es nicht geben, versicherte der Direktor der Rundfahrt

Dass die Rennställe bei einer Tour-Absage aber gleich Pleite machen, hält Denk für übertrieben. „Wir haben mit unseren Sponsoren Verträge bis 2021“, erzählt er der taz. Und er rechnet damit, dass seine Hauptsponsoren Bora und hansgrohe – beide in der nicht so stark von der Krise betroffenen Baubranche aktiv – diese auch einhalten. Für Sunweb – der Sponsor ist ein Reiseveranstalter – oder Lotto Soudal – hier kommt das Geld von einem Wettanbieter – sieht die Lage wegen der Einbrüche in diesen Branchen schon düsterer aus. Lotto Soudal setzte bereits eine Gehaltsreduzierung bei den Profis durch.

Anhänger einer Geistertour

Lotto-Soudal-Profi Roger Kluge hat dafür Verständnis. „In der normalen Welt müssen Menschen durch Kurzarbeit auf ein Drittel verzichten. Das ist wahrscheinlich notwendig, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Und auch für uns kann das eine logische Schlussfolgerung sein. Wenn ich egoistisch bin und sage, ich will mein Gehalt behalten, dann haben wir vielleicht im nächsten Jahr den Sponsor nicht mehr oder es gibt gar kein Team.“

Weil die Tour für die Ökonomie der Rennställe so wichtig ist, hatten sich in den letzten Wochen viele Rennfahrer und auch Rennstallbetreiber mit der Idee einer Tour ohne Zuschauer bereits angefreundet. Marc Madiot, Chef des französischen Rennstalls Groupama FDJ, erhöhte eine potenzielle Geistertour sogar schon zum patriotischen Heilsrennen. „Auch wenn man das Rennen nur im Fernsehen sehen würde, wäre dies bereist ein Zeichen, dass es aufwärts geht.“

Die Vorstellung einer Tour ohne Zuschauer stieß aber auf Protest bei den Vertretern der Etappenstädte. Die wollen vom Tourismus profitieren, von Tour-de-France-Fans, die in Hotels übernachten, in Restaurants essen gehen, die einkaufen und tanken. Tourchef Prudhomme hat sich jetzt diese Position zu eigen gemacht. Die Tour geht also volles Risiko.

Immerhin könnte sie dank der Olympia-Verschiebung noch in den August ausweichen. Und weil man in Frankreich sicherlich auch beobachtet, welche Aufmerksamkeit derzeit die Sportveranstaltungen in Belarus erleben, wo munter mit Bällen und Pucks gespielt wird, dürfte die Versuchung, die Räder durchs Land rollen zu lassen, noch einmal wachsen. Findet die Tour statt, dürften die Werbewerte der Sponsoren durch die Decke schießen. Der Jahresgewinn von Tourveranstalter ASO lag im letzten bekannten Bilanzjahr 2018 übrigens bei 46 Millionen Euro.

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