Das Personal ist der Schlüssel

Deutsche Krankenhäuser sind vergleichsweise gut auf eine Epidemie vorbereitet. Doch wenn die Infektionszahlen ansteigen, könnte es eng werden

Roxana Sauer, Ärztliche Leiterin des Medizinischen Versorgungszentrums in Groß-Gerau, legt sich Schutz­kleidung an Foto: Andreas Arnold/dpa

Von Heike Haarhoff

Die Worte, die der ­Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO am Mittwochabend in Genf mit unbewegter Miene von einem Blatt ablas, bevor er Corona zur Pandemie erklärte, waren mehr als eine Mahnung. Sie waren ein Schlag ins Gesicht all jener innerhalb der Staatengemeinschaft, die mit der rasant fortschreitenden, globalen Ausbreitung des Virus vor allem eine lästige Einschränkung ihrer Gewohnheiten und persönlichen Freiheit assoziieren.

Oder die mit drastischen wie kollektiven Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche weiterhin hadern. „Wir sind tief besorgt sowohl wegen des alarmierenden Grads von Ausbreitung und Schwere als auch wegen des alarmierenden Grads von Untätigkeit“, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Allein in den vergangenen zwei Wochen sei die Zahl der Covid-19-Fälle außerhalb Chinas um das 13-fache gestiegen, die Zahl der betroffenen Länder habe sich verdreifacht. Inzwischen seien mehr als 118.000 Infektionen in 114 Ländern registriert worden. 4.291 Menschen seien gestorben.

Die WHO selbst habe sich in der Krise nichts vorzuwerfen: „Wir haben die Alarmglocke laut und unmissverständlich geläutet.“ Nun aber bleibe nichts, als den Ausbruch als Pandemie einzustufen, also als eine Epidemie, die sich länder- und kontinentübergreifend ausbreitet.

Zwar verursache das Virus bei acht von zehn Infizierten lediglich milde, erkältungsähnliche Symptome, stellte Ghebreyesus klar. Doch gerade die hohe Zahl von Erkrankten könne die staatlichen Gesundheitssysteme überlasten, vor allem in Entwicklungsländern. Folglich gehe es in erster Linie um das Gewinnen von Zeit. Und, so Ghebreyesus’ eindringlicher Appell: „Jedes Land kann den Verlauf dieser Pandemie noch beeinflussen.“

In Berlin derweil betont das Robert-Koch-Institut, Deutschlands oberste Behörde zur Bekämpfung von Seuchen, das Land stehe erst am Anfang des Ausbruchs. Entsprechend hochtourig laufen die Vorbereitungen für den Fall, dass sich die Zahl der schwer Erkrankten, die stationär im Krankenhaus und dort möglicherweise intensivmedizinisch behandelt werden müssen, ähnlich wie in Italien auch hierzulande plötzlich sprunghaft erhöhen könnte.

Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gibt es in Deutschlands knapp 2.000 Krankenhäusern rund 500.000 Betten, von denen 28.000 als Intensivbetten ausgewiesen sind. 25.000 davon sind überdies mit Beatmungsgeräten ausgestattet. Die Belegungsquote auf den Intensivstationen, schreibt die DKG der taz, liege derzeit bei 70 bis 80 Prozent. „In einzelnen Kliniken“ lasse sich die Zahl der Intensivbetten „sicher“ noch erhöhen, sofern die entsprechenden Geräte, der Platz und das Personal vorhanden seien.

Und das alles, wird der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht müde zu betonen, sei „mehr“, als in anderen EU-Ländern zur Eindämmung des Coronavirus zur Verfügung stehe. Konkret: Wäre Deutschland Italien, dann gäbe es hierzulande nur 11.000 Intensivbetten, hat Reinhard Busse ausgerechnet. Busse ist Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin und als Co-Direktor des European Observatory on Health Systems and Policies einer der führenden Experten Deutschlands zur Beurteilung von Krankenhauskapazitäten. Diese Woche meldete er sich bei einer – ganz im Trend der Zeit – virtuellen und vom Kölner Science Media Center organisierten Pressekonferenz zu Wort, um die Dimensionen einzuordnen.

Man dürfe, so Busse, davon ausgehen, dass 100.000 Betten in den deutschen Krankenhäusern leer stünden. Allein durch Umschichtung und Zusammenlegung von Patienten in Mehrbettzimmern ließen sich 50.000 zusätzliche Betten für Menschen gewinnen, die eine stationäre, aber keine intensivmedizinische Behandlung bräuchten. Eine Vielzahl weiterer Betten, so Busse, lasse sich gewinnen, wenn Bevölkerung wie Mediziner endlich „mitzudenken“ lernten und auf unnötige Einweisungen verzichteten: „Krankenhäuser sind für die Schwerkranken da. Jeder dritte unserer Patienten wäre in anderen Ländern nicht im Krankenhaus“, kritisierte er.

Und auch die Kapazitäten auf den Intensivstationen lieferten – zumindest derzeit – wenig Anlass zur Sorge: Wenn nur die Hälfte der verfügbaren Betten auf den Intensivstationen für schwer infizierte Corona­patienten bereitgehalten werde, dann könnten in Deutschland pro Tag 20.000 neu Erkrankte aufgenommen und versorgt werden. Busse: „600.000 Pa­tienten im Monat wären das. Das könnten wir abfedern.“

Können wir uns also entspannt zurücklehnen? Ist die Sorge, dass viele Menschen womöglich sterben werden, weil sie nicht ausreichend versorgt werden können, völlig überzogen? Lächerlich gar?

Nein, sie ist es nicht. Hört man denjenigen zu, die sich schon jetzt um die – glücklicherweise wenigen – schwer Erkrankten in den Kliniken kümmern, dann gibt es trotz der im internationalen Vergleich hierzulande exzellenten medizinischen Expertise und der sehr guten stationären Kapazitäten zumindest keinen Anlass, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. „Es muss das Signal von der Politik geben, dass jetzt Coronapatienten behandelt werden müssen“, sagt etwa Uta Merle, kommissarische Ärztliche Direktorin der Klinik für Gastroenterologie am Universitätsklinikum Heidelberg, die derzeit vier Covid-19-Patienten auf der Intensivstation betreut.

Es müsse genau geschaut werden, ob beispielsweise geplante Operationen anderer Patienten verschoben werden könnten. Dies sei aber nicht in allen Fällen möglich. „Die eigentliche Herausforderung wird die Intensivversorgung sein“, urteilt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, in der die ersten Coronapatienten behandelt wurden, die sich bei einer chinesischen Geschäfts­reisenden angesteckt hatten.

„Jeder dritte unserer Patienten wäre anderswo nicht im Krankenhaus“

Reinhard Busse, Experte für Krankenhauskapazitäten

Zwar gebe es eine Menge Maßnahmen, Fortbildungen für medizinisches Personal, den globalen Austausch über den Umgang mit der für alle neuen Krankheit, Daten, Studien und Beobachtungen, die bereitwillig geteilt würden, ein Gut, welches gar nicht hoch genug einzuschätzen sei auf der Suche nach möglichen Therapien im Kampf gegen das Virus. Was also ist dann das Problem? „Zum Schluss“, sagt Wendtner, „wird es am Personal hängen.“

Denn zur Behandlung von Intensivpatienten, das schreibt die Deutsche Krankenhausgesellschaft der taz, „benötigt es besonders ausgebildetes Personal“. Und dieses Personal fehle vielerorts. In den deutschen Krankenhäusern sind im pflegerischen Bereich Schätzungen zufolge 17.000 Stellen unbesetzt, im ärztlichen sind es 3.500.

Wie viele Stellen davon speziell auf den Intensivstationen gebraucht würden und wie viele Pflegefachpersonen aktuell überhaupt auf den Intensivstationen beschäftigt sind, ist in Deutschland ein ebenso großes Politikum wie gut gehütetes Geheimnis.

„Der Pflegenotstand“, so ein Sprecher der Pflegekammer Niedersachsen zur taz, „ist real. Kurzfristig sind kaum Ressourcen verfügbar.“ Denn selbst wenn man Personal umschichte: Nicht jede Pflegerin könne auf einer Intensivstation mit Schwerstkranken eingesetzt werden. „Es geht auch hier um Qualifikation und Patienten­sicherheit.“

Clemens Wendtner, der Chefarzt aus Schwabing, hat deswegen schon jetzt auch zu unpopulären Maßnahmen gegriffen: Es gebe Urlaubssperren für Klinikpersonal, sagt er, Fortbildungs- und Dienstreisen seien storniert worden. Und die Krankenhäuser machten sich Gedanken, wer eigentlich die Kinder von Medizinern und Pflegern betreuen solle, sollten demnächst vermehrt Kindergärten und Schulen geschlossen werden.