Plötzliche Wiederkehr des Jobcenters

So wie der Berliner DJ und Schriftstellerin Marlene Stark geht es momentan vielen selbstständigen Kreativen im Land. Protokoll einer Verzweifelten

Marlene Stark im Berliner Club „Sameheads“ Foto: Kitty Kleist-Heinrich/Imago

Von Aron Boks

Der schläfrige Charme der Richardstraße im Berliner Stadtteil Rixdorf wird dadurch verstärkt, dass ihr Kopfsteinpflaster von Fachwerkhäusern umringt wird. Man wähnt sich eher in einer Kleinstadt in Brandenburg als in der Hauptstadt. Normalerweise beleben die kleine Straße viele alternative und szenenbekannte Bars und Clubs. So wie das „Same­heads“, das in einem unscheinbar wirkenden Gebäude untergebracht ist. Der Laden ist ein Beispiel für den erfolgreichen Selfmade-kreativ-Traum. Sein dauerbeschlagenes Schaufenster verbirgt eine Inneneinrichtung, die aussieht wie eine Eisdiele in den Fünfzigern. Uhren-be­han­gene Wände, weiße Kacheln, dazu Lametta und Plastikpalmen – schillernde Farben, Glanz und Glitter.

Marlene Stark arbeitet dort als eine von vielen Resident-DJs. Ihr Stil ist eine Mischung aus Techno und Trance, wenn es zorniger zugeht überwiegt der Technoanteil und bringt die Menschen auf dem Dancefloor im Keller, der durch eine kleine Treppe mit der Bar im Erdgeschoss verbunden ist, zum Schwitzen. Ihr letztes Set spielte sie dort Mitte Februar, wann das nächste folgt, steht in den Sternen. Haupteinnahmequelle von DJs sind nun mal Gigs, so dass Stark nun zum Nichtstun verurteilt ist. Von staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Sars-CoV-2-Virus wurde sie, wie viele andere Künst­le­r*in­nen auch, überrascht.

„Nachdem bekannt wurde, dass man unnötige Sozialkontakte vermeiden soll, hagelte es sofort Absagen. Seither kommen täglich weitere hinzu. Selbst Festival-Gigs werden verschoben, lang abgemachte Termine gestrichen. Mein Einkommen geht gegen null. Das wird finanziell sehr schwierig für mich. Ob die mich buchenden Clubs diese Krise überstehen, ist zudem fraglich.“

Die Atmosphäre im Same­heads empfindet Marlene Stark für einen beliebten Club im sozialen Verhältnis als ungewöhnlich familiär. Auch jetzt, im Ernstfall, sei man untereinander solidarisch und böte sich gegenseitig Hilfe an. Aber die gebühre zunächst den Härtefällen aus dem Ausland, die vom Wegfallen sämtlicher Einnahmen noch unmittelbarer betroffen sind, weil sie jetzt gestrandet sind. „Ein Club wie das Sameheads, der nicht main­stream-­kapi­ta­lis­tisch orientiert ist, kann das kaum auffangen.“ Die Corona-Pandemie trifft solche Clubs natürlich besonders, obwohl ab heute beim Senat Anträge für kleine und mittlere Unternehmen mit Sitz Berlin, deren Existenzgründungsphase beendet ist, zur unbürokratischen Hilfe mit Unterstützungen von bis zu 5.000 Euro gestellt werden können. Eigentlich erfüllt das Same­heads alle diese Kriterien.

„Mein Einkommen geht gegen null. Die Situation wird finanziell sehr schwierig für mich. Ob die mich buchenden Clubs diese Krise über­stehen, ist zudem fraglich“

Marlene Stark

Die 35-jährige Stark geht neben dem Auflegen noch anderen künstlerischen Tätigkeiten nach. 2018 erschien ihr (mit Anna Gien verfasster) Debütroman „M“, außerdem ist sie Setdesignerin für Fotoshootings. Wie viele selbstständige Künst­le­r*in­nen bezieht sie ihre Einnahmen aus mehreren Feldern, macht Lesungen, und gibt zum Teil auch Workshops. 
Doch all diese Tätigkeiten finden im öffentlichen Kulturleben statt, was derzeit so gut wie eingeschränkt ist. Somit fallen auch jegliche Einnahmen weg. Finanzielle Hilfen für Künst­le­r*in­nen sollen kommen, wann, steht noch nicht fest. So bittet der Berliner Senat eindringlich, noch keine Förderanträge zu schicken.

Was von außen betrachtet nach einem Sicherheitsnetz und wachsender Zuversicht klingt, führt dennoch für DJs und Künst­le­r*in­nen ganz akut ohne konkrete und sofortige Hilfen zu Verzweiflung. „Existenzangst sitzt uns KünstlerInnen allen im Nacken“, sagt Marlene Stark und denkt dabei auch zurück an ihre Erfahrungen mit dem Jobcenter. Sie hatte sich eigentlich geschworen, ihn niemals wieder zu betreten. „Die Stimmung dort fand ich deprimierend und der bürokratische Aufwand, der damit verbunden ist, war immens. Ich hatte überlegt, mein nächstes Buch darüber zu schreiben, übers Hartzen, aber ich habe das wieder verdrängt. Womöglich bringt mich die Krise dazu, das Thema Jobcenter wieder anzupacken.“